»Bei den normalen bulimiekranken Weibern kanns’te echt nicht unterscheiden, ob sie 12 oder 24 Jahre alt sind«, spuckte es höhnisch von der Seite. Bronischewskis Kopf ruckte nach rechts. Seine Dienstmütze verschob sich dabei ein wenig, und zu der schnarrenden Männerstimme sah er den passenden Mann: dick, fette, strähnige Haare, ungepflegte Hände, eine Narbe lief über seine rechte Wange. Er torkelte, war sichtlich betrunken. „Wäre ein Spaß nach jemandem zu fahnden, der noch nüchtern ist! Wer, außer uns Polypen, ist hier noch klar im Kopf und behält die Übersicht?“
»Ring durch’e Nase. N‘ Zaunpfahl im Arsch. Blaues String–Mieder passt besser zu Blond«, rotzte der Hardcore–Proll ein Groschenblattlamento heraus. Versuchte die Worte weiterhin mit auszuspucken. Es gelang ihm nicht, einzelne Buchstaben klebten auf der Zunge. Konsonanten blieben im Hals stecken. Er würgte gestammelte Sätze heraus. Mit glasigen Augen betrachtete er, wie der Rotz auf die Pflastersteine traf. Seine Sprache ließ sich nur mit der Wurzelbürste reinigen. Er schob ab zum Flying Circus.
„Die Sprüche ändern sich…“, dachte Ludwig Bronischewski, „aber die Inhalte bleiben sich ewig gleich.“ Die Grenzen zwischen Kitzel und Beklemmung, zwischen Attraktion und Aggression, wurden auch hier gezogen. Gewalt war nur erlaubt, solange sie am Ende nicht gesellschaftszersetzend, sondern stabilisierend wirkte. Präzise austariert, wie der des Flying Circus, der atemberaubende Bewegungen in aufrechter seitlicher und Überkopfposition versprach. Die Gondeln rasten in bis zu 20 Metern Höhe daher und das in drei Dimensionen. Eine exakt durchkonstruierte Fahrt mit systematisch aneinandergereihten Thrill–Effekten, die in einem furiosen Finale gipfelten. Die Freunde der turboschnellen Fahrgeschäfte würden einmal mehr voll auf ihre Kosten kommen. Die mörderische Hitze würde ihr Übriges dazu tun.
Fortsetzung folgt.
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Massaker, ein Cranger-Cirmes-Crimi von Barbara Ester und A.J. Weigoni, Krash-Verlag 2001
In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Lesen Sie auch das Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit dem echten Bastei Lübbe-Autor Dieter Walter. Eine Würdigung von Massaker durch Betty Davis lesen Sie hier. Die Hörfassung unter dem Titel Blutrausch hören Sie in der Reihe MetaPhon. Als Tag für die Vorstellung dieses Cranger-Cirmes-Crimis war der 11. September 2001 vorgesehen.