KUNO interessiert sich dafür, was sich nach Karl Kraus‘ Fackel entzündete
Wir stellen auf KUNO von Zeit zu Zeit sehr gern Literaturzeitschriften vor, wie unlängst durch Maximilian Zander geschehen. Wir schätzen auch eine eine Lit.-ZS wie die Matrix, die sich der europäischen Idee verpflichtet hat. Auf dem Weg dieser Betrachtung gilt es einen weiteren Irrtum zu beseitigen, es herrscht die Annahme, das Netzwerk sei erst mit dem Internet erfunden worden, es gab jedoch eine Zusammenarbeit von Individuen bereits auf analoger Ebene. KUNO konsultiert den Wert des Analogen und dokumentierte den Grenzverkehr im Dreiländereck. Gern präsentieren wir in diesem Beitrag auch die WORTSCHAU, weil sie überzeugend zwischen off und online operiert. Seit 2007 schauen die Redakteure dem Wort auf’s Maul und sondieren Tendenzen und Sentenzen, und es steht bereits die 35. Ausgabe an. Wir erkennen unter der Lektüre, Lyrik als eine Gattung, die zwischen den Zeilen Zeit und Raum gibt, weil diese Leerstellen dann ihrerseits vom Leser Raum und Zeit einfordern. Gedichte dehnen sich aus, wenn man sie liest. Das Abtragen der Schichten, Auffächern der Bedeutungsstränge, der Rhythmen und Klänge, der Brüche und Widersprüche, die es, diese Königsdisziplin, in sich trägt. Bei dem multimedialen Ansatz der Wortschau entstehen neue Textformen, mit denen die Gesellschaft sich von sich selbst erzählt: Soziale Poetik, Sound–Poetik und Social Reading.
Die Aufgabe ist seit dem 17. Jahrhundert nicht neu: Eine Literaturzeitschrift setzt sich kritisch mit Literatur auseinander.
In den frühen 1970ern explodierte der Markt der Literaturzeitschriften, insbesondere im deutschsprachigen Raum: nonkonformistische Debattenträger sind in der konservativen Zeitungslandschaft rar, zudem war die in Deutschland sehr breite Studentenschaft ein wichtiger Adressat – mit ihr wurden Literaturzeitschriften ein Gegenstand breiten allgemeinen Interesses, dem wiederum durch eine fortschreitende Verbreiterung der Themenwahl Rechnung zu tragen war. Viele dieser Studenten und Intellektuellen schrieben für Literaturzeitschriften oder gaben später sogar selbst Titel heraus. Den Neckermann der Subkultur hat man Josef „Biby“ Wintjes genannt, besser bekannt als Ulcus Molle-Info, Versender in Sachen Untergrund- und Alternativpresse, denn niemand anders hatte Zeitschriften und Bücher aus der nicht etablierten Szene in diesem Umfang gesammelt, bereitgehalten, besprochen und katalogmaäßig erfasst. Was den Umsatz anging, war das Bild immer mehr als schief. Aber das Ulcus Molle-Info ließ mehr als hundert Blumen blühen und hatte für jeden Freak etwas auf Lager: für Beat-Poeten und Cut-up Avantgardisten, für Acid Heads und kleine Hanfanbauer, für Anarchisten und Subrealisten, für Landkommunarden und Stadtindianer, für Mystiker und Spiritualisten, für Science-Fiction-Freunde und Comix-Freaks. So wurde das im November 1969 von Wintjes gegründete Nonkonformistische literarische Informationszentrum zur Drehscheibe der Szene und der Info-Dienst ,Ulcus Molle“ zum Sprachrohr für die unterschiedlichsten literarischen, politischen und subkulturellen Gruppen.
Eine Literaturzeitschrift trägt mit dem Abdruck literarischer Werke auch selbst zur Literatur bei.
KUNO interessiert sich auch dafür, wie Karl Kraus „Die Fackel“ entzündete. Ein weiterer Klassiker ist Der Ziegelbrenner, die Lit.-ZS erschien am 1. September 1917. Einen anderen Weg betrat Social Beat SLAM!poetry 1, sie wird als Rote Bibel des Social Beat bezeichnet. Zur fünften Ausgabe des zweisprachigen Literaturmagazins The Transnational bat den Herausgeber René Kanzler um einen Einblick in die redaktionelle Arbeit. Gern weisen wir auch auf den LaborBefund – Literatur aus der Wirklichkeit hin. Diese Lit.-ZS wartet mit Informationen, Deutungsmöglichkeiten und Handlungsoptionen auf, der den Zustand der Unsicherheit einer Welt gegenüber zeigt, die sich dem planen Verständnis entzieht. Wie es bei einer Literaturzeitschrift des 21. Jahrhunderts zugeht, belgeitet eine kritische Spiegelung des Verlegers und Herausgebers Peter Valentin in Briefen und Mails. Eine der ältesten Literaturzeitschriften der alten BRD ist der Dichtungsring, der kürzlich in der 60. Ausgabe erschien. Mitherausgeber war Ulrich Bergmann, den KUNO auch als Autor schätzt. Es ist eine bildungsbürgerliche Kurzprosa mit gleichsam eingebauter Kommentarspaltenfunktion, bei der Kurztexte aus dem Zyklus Kritische Körper, und auch aus der losen Reihe mit dem Titel Splitter, nicht einmal Fragmente aufploppen. KUNO konsultiert den Wert des Analogen und dokumentierte den Grenzverkehr im Dreiländereck. Ein Kollegengespräch von A.J. Weigoni mit Bruno Kartheuser von der Literaturzeitschrift Krautgarten finden Sie hier.
Die Literaturzeitschriftenbeschau wird fortgesetzt!
Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.