Wirkliche Kunst hat die Eigenschaft, uns nervös zu machen, schreibt Susan Sontag in ihrem Essay Against Interpretation, was ist etwas anderes ist, als zu schockieren. Nicht auf Verunsicherung, nicht auf Kritik, die uns immer dazu bringen möchte, zu hinterfragen, würde Kunst dann abzielen. Sondern aufs Kribbeln im Körper, auf sachte Schauder, auf ein mulmiges Gefühl im Magen. Es geht um Wahrnehmung, nicht um Andacht. Kunst entledigt sich der Hüllen, reißt die Masken runter, sucht das Ungeschminkte, das nackte Leben.
Der Komponist Jean Sibelius soll einmal geäußert haben, Sinn für Musik habe er eigentlich immer nur bei Bankiers gefunden, höchst selten bei Künstlern, die lieber über Geld reden. Zitiert Enrik Lauer in seinem Nachwort zum Hungertuchpreis ein bemerkenswertes Bonmot für einen Künstler.
Mit der Frage Was ist das bloße Leben? greift Enrik Lauer einen Begriff Walter Benjamins auf, die Erfahrung des Extremen: auf Situationen ohne Netz, seien sie verzweifelt oder gelegentlich auch lustvoll. Man muß eine Archäologie der Gegenwart betreiben und sich fragen: Ist die Moderne unsere Antike?
›Thinking outside the box‹ ist die Losung der Stunde. Wer das neue Spiel beginnt, muß nicht gewinnen – allerdings: Ohne Zweifel spielt er in einer Liga, die die Wächter der alten Regeln nie erreichen werden. Wer nichts wagt, der wird auch nichts gewinnen, und wer nichts gewinnen will, der soll zu Hause bleiben und gar nicht erst mitspielen. Spieler suchen immer das Glück, also das Beste, das ihnen passieren kann. Das wiederum ist nichts Neues, im Gegenteil. Einer der Väter der Demokratie, der athenische Staatsmann Perikles, hat die Formel für das Spiel vor 2500 Jahren aufgeschrieben: Zum Glück brauchst du Freiheit. Zur Freiheit brauchst du Mut. Das sollte zur Spielregel für das 21. Jahrhundert werden.
Der kleine Wagnerianer: Zehn Lektionen für Anfänger und Fortgeschrittene, von Enrik Lauer und Regine Müller, Beck C. H., 2013
Anmerkung der Redaktion: Flankierend zum Buch ein Kollegengespräch mit Enrik Lauer.