Autor: Ulrich Bergmann

Ein moralisches Fundament

  Dichtung darf nicht zu direkt sein. Sie soll ein moralisches Fundament haben, aber auf diesem Fundament muss etwas stehen, das nicht die Verlängerung des Fundaments bis zum Dach ist.     Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann…

Neptuns Tintenfass

  Die Sonette bestechen durch die Freiheit, die sie sich formal nehmen, und doch sind sie zugleich streng, was das sprachliche Gleichmaß jenseits metrischer Silbengenauigkeit angeht. Und das ist das Wichtigste. Die Verse, die Worte, die Sätze, sie fließen, und ich…

Fallen

  Ich suche nicht nach absoluter Wahrheit, mich reizt die wissenschaftliche Neugier nicht. schon gar nicht die der Naturwissenschaften. obwohl wir denen viel Gutes verdanken. Ich nehme hin, wie es ist: Dass die Aufklärung, wie Voltaire oder Lessing sie dachten,…

Schöne Aussichten

Poem in drei Akten, fünf Bildern und einem Prolog Der Titel ist nur vordergründig ironisch. Es geht in Wirklichkeit um den Sinn unseres Lebens. Unsere Aussichten sind gering, wenn wir so weitermachen wie bisher – wir sehen nicht viel, wir…

Die große Fluktuation

Der Bonner Bücherschrank in der Poppelsdorfer Allee Zwischen Schloss und Schloss erstreckt sich in der alten Bundeshauptstadt der Kaiserplatz und die breite Doppelallee, die nach Poppelsdorf führt. In der Residenz des aus Köln vertriebenen Kurfürsten mitten in der Stadt befindet…

Höchstkapitalismus

  Meine Sorge ist nur, dass immer der Körper den Geist verrät, weil er stärker ist, es sei denn der Höchstkapitalismus ist Geist, aber das will ich nicht glauben. Oder alles Geistige ist nur eine andere Form des Körpers, das…

Zeitmitte:

  Ich bin noch in der goldenen Aue zwischen zwei Gebirgen, die Aue kommt mir sehr breit vor, ich durchquere sie diagonal, einem zweiten Gipfelmeer entgegen.       Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann zur Twitteratur sieht…

Metaphysisch hingerotzte Gedanken

    Mir gefällt das Kommunikative, die Musik des Rap und der Fluss der metaphysisch hingerotzten Gedanken, jedenfalls dann, wenn sie nicht vollkommen verlogen sind.       Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann zur Twitteratur sieht eher…

In der Oper

  In der Nacht – der Morgen graute vielleicht schon, ich hatte lange gelesen, ohne müde zu werden – träumte ich, wie schon so oft, dass ich mich in einem palastartigen Gebäude befinde, erst allein, ich verlasse mein Zimmer, es…

Der Bonner Bücherkarren

  Vom barocken Poppelsdorfer Schloss führt die breite Allee vorbei an den wilhelminischen Häusern – in der Mitte die breite und fast einen Kilometer lange Wiese, sie war in der Zeit, als Bonn noch Hauptstadt war, Ort großer Demonstrationen, links…

Zweikörpertheorie

  Der Lyriker Holger Benkel lebt in Schönebeck bei Magdeburg, studierte 1987-1991 am Literaturinstitut Leipzig und veröffentlichte im Magdeburger Verlag „Blaue Äpfel“ 1995 Gedichte („Kindheit und Kadaver“) und Prosa („Reise im Flug“, Traumnotate). 1996 erhielt er den Georg-Kaiser-Preis des Landes…

An meine Kritiker

  Meine Kritiker, die mich leicht finden, haben keine Ahnung, wieviel Fleiß ich in meine Faulheit investiere, um leicht zu sein.     Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann zur Twitteratur sieht eher skeptisch aus. Dennoch stellt er…

Kiesel & Kastanie

Theo Breuer kenne ich seit vielen Jahren. Er ist Lehrerkollege. Aber viel wichtiger: Er ist Lyriker und Essayist und ganz besonders Herausgeber zeitgenössischer Autoren. In seinem neuesten Buch, Kiesel & Kastanie, stellt Theo Breuer Lyriker und Prosaschriftsteller der letzten Jahre…

Messapparatur

  Das Quantensystem reflektiert sich nun selbst, es würfelt sich selbst und wird umgekehrte Messapparatur, es existiert also durch sich selbst, es ist sich selbst transzendent, könnte man sagen, und solche Absurdität von Autopoiesis ironisiere ich.       Weiterführend…

Käfig

  Wir sind gar nicht im Käfig, sondern umgekehrt!       Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann zur Twitteratur sieht eher skeptisch aus. Dennoch stellt er KUNO seine hypochondrischen Aphorismen zur Verfügung. Zur weiteren Information ein Essay über…

Transzendenz by doing

    Manchmal denke ich, unser Denken hat doch recht viel zu tun mit der Quantenmechanik. Wir kombinieren alle Möglichkeiten der sprachlichen Elemente – in einem logischen Grobrahmen, wo Freiheit Zufall ist oder Zufall Freiheit, und die Rückkoppelung (Reflexion) eine…

Diamantenschaum

Zu Karin Maiers Lyrik: „übadacht“ – Boarische Gedichte (2007) Karin Maiers Gedichte erinnern mich an die logische Schärfe Erich Frieds, sind aber bildreicher. Die bayerische Lyrikerin denkt vom Dialekt her punktgenau und kommt so zu einer Prägnanz des Logischen, die…

Legende

    Nicht so leicht heute in der neuen Geniezeit aufzutauchen und nicht gleich wieder unter-zugehen. Wer heute etwas sein will, muss schon als Legende anfangen, und die Legende muss sich bei näherer Betrachtung als rostfreier Stahl erweisen. Aber so…

Multiples Erzählen

Wohin gehen wir? Immer nach Hause. Novalis, Heinrich von Ofterdingen Dominic Angelochs „Roman in vier Erzählungen“, Der blinde Passagier, ist die Diagnose eines Persönlichkeitszerfalls in einer Welt, in der wir weder uns selbst noch jemand anderen noch ein Zuhause finden.…

Über die Wahrheit des Erzählens

  Dass der Erzähler lügt, sich und den Leser betrügt, bewusst und unbewusst, ist dem Historiker nicht fremd – eine historische (darstellende = erzählende) Quelle, verrät sich in ihrer ideologischen Verbiegung genauso wie eine Erzählung in der Selbstrechtfertigung einer Erzählerbiografie,…

Hedonismus

    Hedonismus-Krampf, führen dazu, dass die Programme viel besser sind als ihre Inhalte, dass oft das Programm schon der ganze Inhalt ist, also kein Inhalt.       Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann zur Twitteratur sieht…

Kleine Wende

  Früher war die Zeit weit und der Raum eng, sagt Arthur, heute ist es umgekehrt. Das ändert auch die Irrtümer und Illusionen. Also gehen die Irrtümer jetzt weiter, sage ich, und die Illusionen werden enger. Nein, sagt Arthur, da…

Die Balance der Literatur

  Ja. Ja und nein. Das Wesentliche … das für dich Wesentliche suchen und finden. Von mir aus – aber nur, wenn sich so ein Ich nicht zu wichtig nimmt oder nicht zu weise wird wie Hesse etwa. Deine Ungeduld,…

Gesamtkunstwerk-Streben

  Was die Mixtur der Künste angeht, so ist jedes Gesamtkunstwerk-Streben und jedes Teilkunstwerk-Experiment in Ordnung. Aber ich befürchte, so mancher allzu platte Teil und die alles rettende und fliehende Ironie, dieser ganze nach innen umgestülpte.       Weiterführend…

Tina

(dpa) Ein Arzt in Pankow wurde gestern von einem Schwurgericht zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Mann hatte dem neunjährigen Sohn einen Nagel in den Handrücken geschlagen. Die Mutter, die regelmäßig dabei zusah, wie ihr Ehemann die sechzehnjährige Tochter vergewaltigte,…

Versehen

  Die weit aufgeknöpfte Bluse einer jungen Frau, die während eines Motorradrennens ihren üppigen Körper zur Schau stellte, um auf dem Höhepunkt der Spannung und der Gefahr eines solchen Rennens die Aufmerksamkeit eines vom Rausch der Technik ergriffenen Mannes zu…

Striptease

  Die Masten schwankten, als der schwere Wind gegen die Zeltwände stürmte. Die Zuschauer auf den kreisrunden Rängen starrten in das riesige Maul eines Hais. Die Zähne schimmerten weiß und rot im Blinklicht. Die Arena war schwarz. Im Herzen des…

Eisgestöber

  Als der Bierkrug noch 45 Kopeken kostete, ging Rudnikow an den heißen Sommerabenden ins SHIGULI am Leninskij Prospekt und aß dort Wobla zum Bier, oder er ging tagsüber ins METELITZA, näher zum Kreml hin, wo er sich zum Kaffee…

Den Tod überlisten

  Rudnikow bedeutet wörtlich Erzbergwerker, abgeleitet von russisch=Erzgrube, Grube, Bergwerk, rudâ=Erz und schelésnaja rudâ=Eisenerz. Die tschechische Stadt Zelesna ruda heißt deutsch Eisenstein. Rudâ assoziiert rot, tschechisch rudý=rot, blutrot, rudka=Rötel, rudoch=Indianer, polnisch rudy=rothaarig. Gornorabotschi, gornjak und schachtjor sind die russischen Worte…

Blagomir der Knecht

  Rudnikow, Erzähler unzeitgemäßer Geschichten, erinnerte immer wieder an die nicht einmal so alte Sage von Blagomir dem Knecht, der sich gegen seinen Herrn erhob. Die Bauern steinigten ihn auf dem Dorfplatz vor den Augen aller Dorfbewohner, die sich auf…

Canale Cinque

Eine Maske ist keine Garantie, nur ein Versprechen.   Giorgia stockte der Atem. Sie saß vor dem Monitor und schaute sich die Aufzeichnungen der Konkurrenz an. Elena stand am Fenster und fummelte an ihrer halboffenen Bluse herum. Sie spielte mit…

Anmerkungen zu den Kritischen Körpern

Schläuchmaschin basiert auf Tatsachen, die mir Schüler meiner 10C erzählten. Nur der Schluss ist erfunden, soll aber gelesen werden als Bild für die selbstzerstörerische Tendenz beim Suchen nach sich selbst, Saufpotenz mangels Gelegenheit an Realisierung sexueller und geistiger Potenz zum…

Wanderer wie wir

  Rudnikow, Wanderer zwischen Tod und Tod, liebte Deutschland, wo die russischen Krähen überwintern, aber er war nie dort, er liebte die Tiefe, er liebte alles Rätselhafte, das ihm vertraut wurde und das er begriff ohne zu verstehen. Als der…

Höchste Lust

  Rudnikow, der Seelenwanderer, nahm den weiten Weg nach Moskau auf sich, um endlich die Oper zu hören, die den Westen als Abendland definiert: Tristan. Auf einer Bühne unaufführbar, dachte Rudnikow, als der Zug Moskau erreichte und im Kasaner Bahnhof…

Pronominale Neurosen

  Das Fundament ist gelegt. Ich muss funktionieren. Der materielle Modus meiner Existenz  widerlegt mein kontraproduktives Sträuben gegen den Wahnsinn der Sozietät. Ich lese französische Philosophie, um drei Formen von Freiheit zu begreifen und verifiziere gerade die komplizierteste durch praktisches…

Die verlorenen Fragen

  Am Rand meiner Hingabe an die Welt und selbst dann, wenn ich mich liebe, vergesse ich mich, antwortete Rudnikow einer unersättlichen Hetäre in Baku, als er sie bezahlte. Weil es mich nur gibt, wenn ich mich denke, ist meine…

Die Macht der Gewohnheit

  Die Partei, die in der Stadt herrschte, wohnte im Palast der öffentlichen Liebe. Rudnikow ging eines Abends den Weg, den jeder gehen muss, wenn er vor sich und der Welt bestehen wollte. Zum Tor in der Mitte des Palastes…

Massendiskurs

  Es ist nicht jedem gegeben, sein Innerstes an die Oberfläche aufsteigen zu lassen, ohne Scheu und ohne Furcht vor dem Zerrissenwerden oder der Antwort: Was für ein schwacher Text! Aber es geht gar nicht anders. Ich glaube, es ist…

Ach

  Ich denke oft, wir leben alle gar nicht wirklich, wir sind nicht richtig in der Welt, weil wir heute anders sind als gestern, denke ich, und morgen schon wieder anders als heute. Gestern ist eben gestern, und heute heute.…

Vielleicht eine Fabel

  „Im Zeughaus in Berlin wird seit dem Fall der Mauer eine über drei Meter hohe Lenin-Statue gezeigt, die stand zuletzt in Eisleben. Die Geschichte dieser Statue ist so denkwürdig wie skurril.“ Rudnikow dachte, wahrscheinlich müssen alle denkwürdigen Geschichten skurril…

Das Auge der Welt

  Tods knochenharte Hand ließ Kautsky wieder los, als er in den Armen der Zauberin lag. Tod sah in ihr eine Kollegin, weil sie eine Betäuberin des Lebens war, die das Sein in einen anderen Aggregatzustand verwandelte. Sie trieb Kautsky…

#Fallen

  Ich sehe in die tiefen Abgründe meiner Seele, an deren Rand ich stehe. Ich falle, wenn ich im Schwindel oben und unten verwechsle, immer wieder auf mich selbst herein.       Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich…

Frage und Antwort

  Kautsky, dem die geschürzten Lippen der schönen Frau auf der anderen Seite des Ganges den Kopf verdrehten, hatte keine Augen für den Schrecken des kühlen Gestirns, obwohl der schwarze Himmel sein Licht durch das Fenster, an dem er saß,…

Über der Mohngrenze

  Die Sonne drehte sich langsam. Kautsky überlegte im Kreislauf der Gestirne. Als er das Tagebuch der schönen Schottin las, bekam er Angst. Ich lese diese tote Schrift. Das Herz will mir platzen. Was ist geschehen? Träume ich wirklich? Ich…

Prawda

  Während seines Literaturstudiums an der Universität von Alma-Ata absolvierte Rudnikow ein Praktikum in einer Brikettfabrik bei Karaganda. Die Literaturstudenten wurden auf die Bergwerke und Brikettfabriken des Steinkohlenkombinats verteilt. Sie sollten sich umschauen, Eindrücke sammeln, recherchieren, mit den Arbeitern reden…

Rudnikows erste Reise

   Holger Benkel zugedacht Rudnikow, der Unerhörte, machte sich auf den weiten Weg von Leninogorsk im Altai über Semipalatinsk nach Peking. Nachts hatte er immer wieder von chinesischen Puppen mit so hellen Stimmen geträumt, dass er dachte, es scheine hinter…

Verhaftet

  Es war ein besonderes Fest. Entsprechend groß war der Saal für die vielen Gäste. Sie gruppierten sich wie Inseln eines Archipels über der Tiefe des weiten Parketts. Zum Essen spielte ein Keyboardmusiker südamerikanische Melodien zu einprogrammierten Rhythmen. Er hatte…

Teepause

  Kautsky fehlten die Worte, als die Frau, die er liebte, sich nach vorn beugte. Sie nahm die Tasse, setzte sie an die rot schimmernden Eislippen, trank die Hitze in einem Zug aus und stellte das dünne Porzellan mit wegwerfender…

Schorf

  Sarah lachte laut in die dünne Luft der sommerlichen Gedanken. Er will keine anderen Götter haben neben sich, denkt er. Sie lachte ihn aus. Ihre Stimme hell vor ihm. Sie stand in einer Gruppe, alle ohne Gesicht. Sie sah…

Das Konzert

  Das Konzert begann. Der Dirigent hob den Stab und brach ihn über das Knie, das Orchester stand auf der dünnen Eisdecke eines drei Meter hohen Wasserwürfels in gläsernen Wänden. Die Musiker stellten ihre Gehirne um. Langsam zerlegten die Musiker…

Die Uhr

  Eines Abends – in der Zeit der Dämmerung, wenn die Autofahrer das Scheinwerferlicht einschalten – geschah das Schreckliche, das Mama Louise immer befürchtet hatte. Carl kam nach einem Vortrag über die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs mit der…

Kautskys Nachtgesang

  Kautsky, dem im Leben die Vorbilder ausgingen, weil es einfach keine mehr gab und weil er immer deutlicher sah, dass er nun selber dran war Vorbild zu sein, zog es manchmal, in seiner Einsamkeit mit sich selbst, mitten in…

Tao

  von und nach Holger Benkel Rudnikow, der Suchende, ging mit Wu, seinem Begleiter, zur Zeit der Zeitenwende über den Platz des Himmlischen Friedens, wo sie im Schatten Maos, den eine riesige Statue warf, ihren langen Marsch durch die Geschichte…

Blind

  Wir sehen: Wir sind zu vielem fähig, riskieren das größte Unheil oder tun Gutes. Der Natur ist das egal. Sie weiß das nicht. Und wir wissen es letztlich auch nicht, was das soll, was wir Ethik nennen. Die menschliche Existenz…

Der Raum des Sagbaren

  Lyrik steht immer auf der Schwelle des Sagbaren zum Gesagten, aber nicht nur im Hineingehen in den Raum des Sagbaren, sondern auch im Hinausgehen aus dem Gesagten. Der Lyriker ist der individualistische Versucher des kollektiven Bewusstseins. Das Lyrische Ich…

tagaufnahme

  die einschläge kommen näher im plastikgewitter des unfugs   noch zischt verlangen leise im hirn in den traumknoten   in der mitte des großen netzes inszeniert sich das nichts   da verliere ich mich und dich so schlimm ist…

Konstruktive Kritik

  … Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, als er, eine flüchtige Bekanntschaft, sagte, er habe ein Gedicht geschrieben, und der einzige Grund, warum er mich heute für kurze Zeit (Zeit) angesprochen habe, sei der, mir den Vorschlag zu…

panaroma

  Sonett in Anagrammen   bier fischt alpensonnen, kurzen untergang im drama, ganz unberauscht in reinen särgen dampf mir klont man reift, kann salz, ein purer bauch singt regenmond und grins nicht fein – lern kaum begrenztes panorama   dann…

Übertödliches Leben

  Der Band mit Prosastücken verdankt seinen Titel der Tatsache, dass die 17 Texte nicht einer einzigen Textgattung zugeordnet werden können – sie sind nicht etwa übermütig oder überheblich, sondern sie stehen, obwohl primär Prosa, über den Textgattungen. Das wird…

Schreibe barbarisch!

  Sprechen oder Schreiben ist ein Bemühen um größeres Welt-Verständnis. Wer beschreiben kann, begreift, und umgekehrt. Literarisches, dichterisches Beschreiben ist, im Unterschied zum wissenschaftlichen, der Subjektivität geöffnet, ja verpflichtet, und im Bewusstsein gelassener, anders kontrollierter Subjektivität muss dann das Bezeichnete…

Kleine Wahrheit

Die Philosophie ist eine Art Rache an der Wirklichkeit. Nietzsche. Als überlistete sich im Menschen die Natur, sie wird sich ihrer im Menschen bewusst, so scheint es, aber wahrscheinlich ist das leider eine Täuschung – die Wirklichkeit spiegelt sich nur…

Tautologie

  Obwohl in der Tiefe des Gedichts die Wahrheit liegt, dass alles Reden und Schreiben ein einziges Schweigen ist. Totsein ist Leben, die Dinge sagen sich alle selber, das Leben ist eine Formel des Nichts, nur ein anderes Wort, eine…

Das Sonett in seiner Schwere

  Zeigen dass kann darf nicht sein, leicht muss das Sonett in seiner Schwere sein!         Weiterführend → KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur…

Engagierte Literatur

  Politik soll Dichtung sein. Dichtung teilt mit, schildert, beschreibt genau, klagt, klagt an, ist Werk, ist Kunst, ist Kosmos im Kleinen. Dichtung führt zur Imagination neuer Bilder, Gedanken, Denkweisen, insofern ist sie auch lehrhaft, sie schreit, singt, weint, sie…

Cux-Lied

  Du döst vor dich hin, alte Schnake, hast Ritzebüttel und Süderwisch satt, schaust müde auf die Kugelbake, die Alte Liebe, das Watt.   Döse, Duhnen, Sahlenburg liegen trocken achtern Diek. Wattenkieker biste nur, doch willst du hinaus übern Schlick.…

Charismatische Blöcke

Ein Charakterbild für Anke de Witt   Steht da. Ruhig. Ernst. Die Augen signalisieren: Ich denke. Ich höre dir zu. Zwei kleine Stirnfalten in der Mitte wollen sprechen: Ich verstehe dich! Die Finger spielen mit dem Mund, der schweigen muss…

ein stück nacht

  für eje winter, der ich die worte stahl   hahnenschreie abendregen peitscht das schieferdach gefriert große tropfen hart über den farben weht wind in den kahlen pflanzenstümpfen es soll nicht mehr kalt sein aber wieder dunkel am himmel mit…

MONSIEUR LE GOURMET DE LA LITTÉRATURE AUX SERPENTS

Vormemerkung der Redaktion: Eine Literaturzeitschrift ist eine Zeitschrift, die sich kritisch mit Literatur auseinandersetzt oder mit dem Abdruck literarischer Werke auch selbst zur Literatur beiträgt. Das originäre Thema der literarischen Journale des 17. und 18. Jahrhunderts war die Berichterstattung über…

Lauter Fragen

  Ist das Gedicht umgekippt? Oder stürzt der Himmel ein? Oder ist das lyrische Ich an den Himmel gesprungen? Wo schaut es hin? Denkt es über die Leerstellen des zum Bild gefrorenen Seins nach? Fasst es sich selbst als eine…

Ruhmreicher Stein

  Es gibt treffliche Gedichte des noch ziemlich jungen Griechen Stamatis Polenakis, der den alten Odysseus zum Namensträger eines durch unsere Zeit irrenden Menschen macht – wir sehen den gebrochenen Menschen der Moderne, der dem Schicksal der Geschichte ausgeliefert ist. …

Kleines Manifest

  Habe Mut, die Welt in Bildern zu öffnen! Entfalte deine und andere Welten! Schreibe in neuen Welten von der alten Welt! Schreibe in der alten Welt von neuen Welten! Erfinde neue Bilder! Erschaffe neue Motive! Webe neue Netze von…

SPITZZUNGEN DES ALLTAGS

über Florian Günthers Gedichtbände NUTTENFRÜHSTÜCK, DICKER MAX & CO. Diese elegante Art Alltägliches auszuschneiden – man kann auch sagen, Introvertiertheit in Worte zu fassen, gefällt mir SEHR GUT. Hier komme ich als Leser langsam ins Schweben. Sehr genau vieles, voll…

Der Schreiber ist beim Schreiben allein

  Jeder hat seine Art zu schreiben, er gibt sich selbst die Regeln. Er geht von sich aus und von der Welt. Der Autor macht sich im Schreiben kollektiv. Das Kollektive geht durch ihn hindurch – das ist dann gelungene…

Traumpoesie

  Du: „Man ist, was man träumt.“ Platon. Ich: Generelle Frage: Stehen literarische Fiktionen (ungefähr) auf der Ebene des Traums? Du: Es gibt Tagträume, Klarträume, Wunschträume, so eine Art Fantasie in schläfriger Form. Aufgeweckt wird Text daraus. Keine Ahnung, ob…

Unendliche Minimalismen

Philip Glass’ Bhagavadgita-Oper „Satyagraha“ wird tatsächlich in Sanskrit gesungen! Eine unglaubliche Arbeit für die Sänger, zumal auch die musikalische Partitur wegen der vielen Wiederholungen mit nur ganz geringen Änderungen sehr schwer auswendig zu lernen ist. Die Inszenierung Purcaretes gehört zum…

Gegen mich

Was imitiere ich, welchen Trends folge ich? Spricht die Vielzahl meiner Veröffentlichungen wirklich gegen mich? Mir ist klar, dass ich kein Beckett bin, kein Rimbaud. Muss ich einen unverwechselbaren Personalstil erschaffen? Wie etwa Horváth? Hat denn Max Frisch in seinen…

SARAH. IM SOMMER IST DIE ERDE LEICHT

  11.11.2000 Die Operation war schwer. Der Tumor wurde radikal herausgeschnitten. Tage lang habe ich geweint tief in die Nacht, die Sterblichkeit der allernächsten Freundin und Geliebten, die eigene Endlichkeit, stand mir vor Augen. Langsam verging der Hass gegen den…

Peter Handke: Falsche Bewegung

Handkes Goethe-Rezeption in ihrem Kontrast zu den „Lehrjahren“ als Gegenwartserkenntnis und poetische Bewegung „Ich fürchte jedoch, dass die Menschen, wenn einmal die verwaltete Welt existiert, ihre Kräfte nicht frei entfalten werden, sondern sich soweit an rationalistische Regeln anpassen, dass sie…

Alles im Arsch

„Maria Stuart“ von Friedrich Schiller   Königin Elisabeth steigt als Glamour-Star die steile Treppe zur Show hinab. Die Show ist die Staatspolitik. Irgendwie stimmt das ja auch. Die Minister benehmen sich wie die feinen Zuhälter der sogenannten freien Wirtschaft. Na…

Am Arsch der Welt

„Das ist eine Tragödie!“, dachte ich. Hel erzählte eine der entsetzlichen Geschichten aus dem Südlimburgischen. Dort schnappte er im Sommer die Fortsetzungsmärchen aus dem Alltag im Dreiländerloch auf, Variationen der Entfremdung, die im Abseits der Welt ganz von allein aus…

ankatrin

  Ich denke, dass wir ums Interpretieren und Rationalisieren nicht herum kommen, Katrin, hier widerspreche ich dir. Wenn du sagst, der Schacht von innen muss nach außen geöffnet werden, stimme ich dir voll zu – und umgekehrt auch: Von außen…

Schreib wie du willst – aber

finde deine Art der Selbstdisziplin. Ohne sie ist noch nie ein gutes Kunstwerk geschrieben worden. Ich meine keine Disziplin der Regeln und der gesellschaftlichen Normen. Ich meine die handwerkliche und künstlerische Arbeit, die erforderlich ist, um das Talent und die…

Tempora mutantur et nos in illis mutamur

Zur Literatur unserer Zeit Annäherung: Camus las ich in den 60er und 70er Jahren, „Die Pest“ war Schulstoff im Französisch-Unterricht, aber da kamen wir über Charakterisierungen kaum hinaus. Im Rahmen meiner Abiturvorbereitung schrieb ich eine Facharbeit über den Existentialismus bei…

Kritische Pirouetten

„Man muß den Mut zu seinem privaten Irrsinn haben, seinen Tod zu be­sitzen und zu voll­strecken.“ 1 Dieser ›Roman‹ auf 48 Reclam-Seiten liest sich teils wie ein Supplement von Niet­zsches „Zarathustra“, gewendet ins Absurde, Ex­pres­sive, Expres­sionis­tische. Teils phi­lo­sophie­rende Kritik an…

Terres (revised)

  Verblutung. Wer an das Göttliche glaubt, glaubt doch nur an sich selbst, sagt Terres, der Orgler, der Glasperlenspieler und Komponist des Selbstgesangs. Im Herbst war die neue Orgel fertig, gebaut nach seinen Plänen. Eine Orgel ist eigentlich nie groß…

Höhenlinien

  Bernard Herrmanns Oper WUTHERING HEIGHTS hat mich zu Emily Brontë zurückgeführt, deren berühmter Roman gleichen Namens als Vorlage für das Libretto diente. Ich sah vor Jahrzehnten einen sehr guten Film über die Schwestern. Ich lerne die „Sturmhöhen“ jetzt erst…

Nirgends ist Schlaf in der Welt

Ein Versuch, Fernando Pessoa zu verstehen.   Fernando Pessoa: Initiation   Zypressen – du schläfst nicht darunter: Nirgends ist Schlaf in der Welt. Dein Leib: ein Gewänderschatten, Der dein Wesen verborgen hält. Die Nacht – der Tod – rückt dir…

Consolatio theatri mundi

„… bringen Sie einmal Ihre ganze Rücksichtslosigkeit auf die Bühne | Ihren ganzen Weltekel Bernhard | schreiben Sie so ein Stück Welttheater | dass es das Burgtheater zerreißt | so einen richtigen grandiosen Weltscherz Bernhard | … diesen ganz großen…

Der Tod ist ein Termin

Über KING KONGS TÖCHTER von Theresia Walser „Das ist nicht mein Beruf, ich frag mich, ob das überhaupt ein Beruf ist. Schon lange frag ich mich, wann aus diesem Nebensachengewurschtel endlich die Hauptsache erscheint…“ Berta, Carla und Meggie, drei Altenheimpflegerinnen,…