Kategorie: Allgemein

Rhein-Meditation, rhein wörtlich

  Oben in den Bergen, weit über 2000 Meter hoch. Die Kraft des Sehens, heißt es, bewirke die Seele durch die Augen. Erstmals sah ich die Quelle meines Flusses durch die Augen von Robotervögeln. Fliegende Kameras mit Zeppelinleibern schwebten ferngesteuert…

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  »Das Meer schärft die Sinne. Seit ich die Wellen jeden Tag sehe, sehen sie jeden Tag anders aus. Vielleicht sollten wir nur noch am Strand leben?«, spekuliert Nataly, nachdem sie vom Tauchen zurückkommt; kontrolliert, ob der Bikini schon einen…

Ins Offene

  LeerstellenUm etwas aufzuhalten, darfst du nicht stehen bleiben, du mußt rennen. Du bist kein Widerstand, wenn du unbewegt verwurzelt am anonymen Ort glaubst, Kräfte zu sammeln, bis dich das Böse erreicht. Lauf mit, immer schritthaltend mit dem Feind, er…

Die Tragik aller Kritiker

  Kritiker sind eine besondere Art Menschen. Zum Kritiker muß man geboren sein. Mit ganz außergewöhnlichem Schaafsinn findet der geborene Kritiker das heraus, worauf es nicht ankommt. Er sieht nie den Fehler des zu kritisierenden Kunstwerks oder des Künstlers, sondern…

Von der Physiognomie

Vorbemerkung der Redaktion: In seinem Essai „Von der Physiognomie“ schildert Michel de Montaigne seine Erfahrungen mit der Pest. Gemeinsam mit KUNO hat er den doppelten Blick auf die Seuche: den medizinischen und den sowohl moralistischen wie moralischen. Fast alle unsere…

Kinderschicksal – Kindheitstrauma

Der kärntner-slowenische Dichter Andrej Kokot auf den Spuren seiner Kindheit Der 14. April 1942 ist ein bedeutender Tag im Leben des damals kleinen Buben und heutigen Schriftstellers Andrej Kokot. Denn da wird er mit seiner Familie, seinen Eltern und den…

Bald bin ich alt

  Das Gute am Altsein: Dass man Narrenfreiheit hat und nicht mehr lernen muss zu leben. Das Schlechte ist alles andere … Erlösungsgelaber. Gott hat Alzheimer. Er ist nicht bei mir. Er ist vermutlich scheintot. Den überlebe ich, das weiß…

Ein Ausflug aufs Land

  Es hatte den Reisenden in eines dieser Dörfer am Horizont getrieben; er hatte von den lärmenden Städten übergenug; über Stoppelkrume lief er, durch haushohen Ampfer. Riesiges gelbbraun gesprenkeltes Blätterwerk schwankte an armstarken Stielen, Getier kroch ihm durchs Haar; nach…

Ein Brief meiner Base Schalôme

  Im Hafen von Konstantinopel liegen goldene Boote – Sterne …. Ich bin im Palaste meines Großoheims; wir Basen aus Bagdad duften nach altem Gemäuer, wir Prinzessinnen vom Tigris tanzen mit stummen Gliedern. Und ich verstehe die Sprache der Frauen…

Aber es gibt schwarzalben

  Aber es gibt schwarzalben, die das nicht dulden wollten. Die menschheit sollte weiter in der sklaverei des ornamentes keuchen. Die menschen waren weit genug, daß das ornament ihnen keine lustgefühle mehr erzeugte, weit genug, daß ein tätowiertes antlitz nicht…

Nachtfahrt

Im Rauschen unablässig fallenden Regens löste sich das Zuggeratter auf, ein Innengeräusch, das auf der Wahrnehmungsfolie rasender Vorwärtsbewegung drinnen und draußen miteinander vernähte. In durchnässter Kleidung ließ ich mich in den noch angewärmten Sitz am Fenster fallen, während einige Abteile…

Lähmung

  Lähmung. Ich werde kalt, spüre, wie ich anfriere, wie sich Eis bildet zwischen meiner Haut und dem Stuhl, wie das Vakuum zwischen mir und dieser Schauspielerin zusammenzischt und mich innerlich wegbläst irgendwohin, wo das Nichts immer kleiner wird und…

Der Schuß von der Kanzel

  Die Novelle geht zurück auf eine Anekdote um den Ziegelhäuser Pfarrer Christoph Schmezer (1800–1882), der in der Heidelberger Gesellschaft Der Engere verkehrte und engen Kontakt mit dem Dichter Josef Victor von Scheffel und weiteren Heidelberger Geistesgrössen pflegte. Schmezer hatte…

Idealistisches Manifest

  Wer mit dem Blick auf zeitlose Weiten neue Moral, neue Gerechtigkeit, neue Menschlichkeit zum Inhalt seines Strebens macht, der weiß aus unzähligen Erfahrungen, daß er mißverstanden wird. Es ist fast notwendiges Schicksal seiner Ueberredungskunst, selbst bei Menschen von Verstand,…

Nachtflug

  Es regnet nicht viel an diesem Abend. Doch so viel, um Charlotte von ihrem Vorhaben abzuhalten. Die Tropfen verlaufen sich zu dünnen Strichen auf der Fensterscheibe. Langsam folgen ihre Augen den Bahnen, die sie auf das Glas malen. Nach…

Krimi

  Sie hatten sich über die Idee unterhalten, einen Krimi zu verfassen. Er hatte ihr erzählt, er halte an allen Orten jeweils die Eindrücke in kurzen Textskizzen fest, komme jedoch kaum einmal über diese Form der Miniatur hinaus und verarbeite…

Bindewörter

  Sie legte die Betonung auf die unbedeutendsten, auf die Artikel und Bindewörter. Je überzeugter sie sich der Vorgabe fügte, desto häufiger kam es vor, dass der Sprecher und sie mit gleichen Wörtern aufeinandertrafen. Sie bildeten eine Art Kanon und…

Liebe am Nachmittag

  «Ariane, jeune fille russe», 1920 in der Editions de la sirène in Paris publiziert, für den Prix Concourt nominiert, ist unter sehr verschiedenen Aspekten ein ungewöhnlicher Roman. Der geographische Hintergrund der Romanhandlung bildet das berühmte Empire Hotel London in…

Bühnendrehung

  Bühnendrehung. Am Nachbartisch eine mitteljunge Frau, Fliegerjacke, schwarzer Igelkopf, ganz sicher vom Theater gegenüber. Als wäre ich in eine Hardcore-Situation gerutscht … Sie lippt am Espressotässchen, als wäre es eine ganz spezielle Muschel in der Rolle, die sie gerade…

Die Sektion

  Der Tote lag allein und nackt auf einem Weißen Tisch in dem großen Saal, in dem bedrückenden Weiß, der grausamen Nüchternheit des Operationssaales, in dem noch die Schreie unendlicher Qualen zu zittern schienen. Die Mittagssonne bedeckte ihn und ließ…

Traumtänzer ∙ Revisited

Zurück in die Zukunft der 1990er Jahre Hat mich der Teufel geritten, daß ich den anschließenden Artikel aus längst vergangenen Zeiten hervorhol, um ihn nach so vielen Jahren noch einmal zu veröffentlichen? Es kann nicht schaden, sag ich blauäugig (und…

Parallel laufende Neongänge

  Zwischen den parallel laufenden Neongängen befinden sich Schaufensterblöcke. Die Schaufenster sind wie Aquarien. Es passt nicht mehr dahinter als ein einziges, bunt überdecktes Doppelbett, welches wohl nicht einmal seiner Originalgröße entspricht. Die drei dichtgrenzenden Wände sind mit Vorhangstoffen bespannt.…

Nicht jede Blume ist blau

  Nicht jede Blume ist blau. Nun bemale ich meinen Sarg. Meine Hoffnung tanzt hinter den Kulissen. Die Bühne dreht Sommer in meinen Schädel. Ich bin aus Papier. Da schlägt mein Schatten dem Schlaf ins Gesicht. Kopfhaut zuckt in spitzer…

Romeo und Julia auf dem Dorfe

Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte, zum Beweise, wie tief im Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf welche die großen alten Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist…

Bahnhof

  ich bin als kind mit meinen eltern am ende eines urlaubs auf dem hauptbahnhof stralsund, wo ständig veränderte zeiten und bahnsteige für die abfahrt der züge durchgesagt werden, so daß die reisenden aufgeregt hin und her laufen. endlich finden…

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  Schau: Wellen falten sich auch auf der Haut des Meeres Leben geht nie glatt     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage…

Kurze Rast

  Mehrere Stunden hatte er bereits am Lenkrad verbracht, einige hundert Kilometer Strecke hinter sich gelassen. Irgendwann sollte der erfahrene Kraftwagenfahrer jedoch auf die Zeichen des Körpers achten. Spätestens wenn sich die Gedanken plötzlich in Kleinigkeiten verlieren, fast gleich einem…

Wenn ich ihn morgen in der Stadt sehe

  Wenn ich ihn morgen in der Stadt sehe, rufe ich ihm zu: Guten Tag, Herr Geheimrat, Sie sind dran! Und dann fallen ein paar Lichtstrahlen vom Himmel durch die Luft und malen dem Tod ein paar Knochen zum Fraß…

Das rote Gummiband

  Der Raum besaß auf ungewohnte Weise Fenster im rechten Winkel zueinander, die den Ausblick auf ein ähnlich angelegtes Fensterstück freigaben. Ein gläserner Aschenbecher stand auf dem Schreibtisch, dem einzigen Möbelstück im Raum. Dieser Aschenbecher, ausgeleert, aber ungereinigt, enthielt ein…

Die Poesie bahnt sich ihren Weg

  Vorbemerkung der Redaktion: Seit 2000 wird jedes Jahr der Welttag der Poesie gefeiert. Er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern“. Die Redaktion erinnert an das Gezwitscher, das am 21. März 2006…

Über die verschiednen Arten, zu dichten

  Man ist manchmal bei sich selber uneins über die Vorzüge verschiedener Menschen. Jeder hat seine Vortrefflichkeit und dabei seinen eigenen Mangel. Dieser gefällt uns durch die Einfachheit und Akkuratesse und Unbefangenheit, womit er in einer bestimmten Richtung fortgeht, der…

Der Schatz

  Im ersten Gasthofe des Bades zu K* verweilte eines Abends eine kleine Gesellschaft von Damen und Herrn im großen Speisesaale, der nur noch sparsam erleuchtet war. Der Hofrath Arbogast, ein munterer, kurzweiliger, obgleich etwas eigener Mann von imposanter Gestalt,…

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  Wellengewisper. Wer gestrandet ist, hört auf, sich den Realitäten des Alltags zu stellen. Max baut eine Sandburg. Beginnt mit feinem weissen Sand, der gut durch die Finger rieselt, um Strassen und Wege zu markieren. Aus dem schweren nassen Sand…

Gedankensehen, die Katastrophe

Ist Kultur verpflichtet, Stellung zu nehmen? Mein Blick in diesen Tagen: Ich sehe allein das unerträgliche Unglück der Menschen, einiger meiner ukrainischen und auch russischen Freunde, Kinder vor allem, die plötzlich ungreifbare Angst und den zynischen, sich als Schicksal verkleideten…

Lapidargedichte

  Es geht um ‚sachliche Wirklichkeit im Sinne der existenziellen Befindlichkeit‘, schreibt der Autor über seine zuletzt erschienen Gedichte. Keine Metaphern, keine Überhöhungen, nicht das Schöne sei angestrebt. Sogenannte ‚Lapidargedichte‘ nennt Wiplinger diese Lyrik. Mit diesem Begriff bin ich nicht…

Die Bauhütte®

  Karl Richter ist heilfroh, nach seiner Rehabilitation einen Lebensrhythmus zu haben. Ein Pilot–Projekt, bei dem sich die Stelle aus dem Kapitalrückfluss finanzieren soll. Im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmassnahme ist er als Detektiv im Heimwerkermarkt Bauhütte® tätig. Der Name des Geschäfts fusst…

Die schwarzen Kühe der Nacht

  Die schwarzen Kühe der Nacht. Als ich ein Kind war, da sangen und sprangen wir in die mit Kreide auf blauen Asphalt gemalten Kästchen zwischen Himmel und Hölle: Kaiser König Edelmann – Bürger Bauer Bettelmann … Hein der Schnitter…

Der Fallensteller

Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen, und für Singvögel. Wieviele heute Fallen stellen, bleibt dunkel. Der Hof war von der Außenwelt abgeschlossen, nein, wie abgeschlossen. Er war ja durch wenige Fenster einsehbar, auch…

die ornament-seuche

  Nun gut, die ornament-seuche ist staatlich anerkannt und wird mit staatsgeldern subventioniert. Ich aber erblicke darin einen rückschritt. Ich lasse den einwand nicht gelten, daß das ornament die lebensfreude eines kultivierten menschen erhöht, lasse den einwand nicht gelten, der…

Der Derwisch

Franz Marc und Mareia Die englischen Damen reiten jeden Abend auf ihren Eseln die heiße Gräberstraße entlang, die heiligen Katzen hinter den Gittern der Gräber blicken schon weltlich. Der Derwisch tanzt. Die Ladies mit den hellen Augen like the spring…

Strandgut

  Strandgut aus der Sprachdiffusion auflesen / goldene Schimmer daraus machen / die Erde damit beflecken / wie Jean Krier / poetische Alchemie     *** Mit seiner micropoetry gelingt es Denis Ullrich eine übernutzte Sprache zu entkernen. Seine vielgestaltigen Texte…

baumbücher aus der vergifteten welt

BÄUME »Bäume vergessen nicht« ist ein unikates buchobjekt, ein baumbuch von baumholz ummantelt, in dem das innere, das man aufklappen kann, wie bei bäumen von der rinde geschützt wird. uwe albert schreibt: »Als Kind setzte ich mich manchmal an einen…

SCHWARZ UND WEISS

  Der See hätte auseinanderbrechen müssen wie damals dem Moses und seinem Volk das Rote Meer, um eines Menschen Gedanken da hindurchführen zu können. Da, in der Mitte, der Länge nach, war nicht einmal Überschwang, nur RISS, das Allerentfernteste, das…

Zwischen Stäben

  Zwischen Stäben. Ich dehne mich aus, sagt Die Expansion, ich weiß nicht, wie. Ich auch nicht, sagt Die erste Dimension. Da war ich bestimmt schon da, sagt Die Gravitation, oder auch nicht, ich kann mich nicht genau erinnern, ich…

Befindlichkeit

  „Du arrogantes Arschloch, Kotzbrocken“, so war Herr Nipp noch nie bezeichnet worden. Auch folgende Sequenzen, er gebe doch immer nur den anderen Leuten die Schuld und kümmere sich um rein gar nichts, nicht einen kleinen Handschlag habe er getan,…

Kleider machen Leute

  Die Novelle Kleider machen Leute handelt von dem Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der sich trotz Armut gut kleidet. Er gelangt in eine fremde Stadt namens Goldach und wird dort wegen seines Äußeren für einen polnischen Grafen gehalten. Nachdem er aus…

Im Fegefeuer des Krieges

Am 4. März 1916 ist Franz Marc in einem sinnlosen Krieg bei Verdun gefallen. Was wir Krieger in diesen Monaten draußen erleben, überragt in weitem Bogen unsere Denk­kraft. Wir werden Jahre brauchen, bis wir diesen sagenhaften Krieg als Tat, als unser…

Suchbild

  Der Blick, forschend. Ihre Kamera, ein Wahrheitsautomat. Sie bildet nicht ab, sondern zeichnet mit Licht. Tastet Raum / Zeit / Landschaft nach Anmutsmustern ab, inszeniert in einem Gestaltungsfeld imaginäre Ansichten blühender Landschaften. Sequenzen. Die Erinnerung des vorherigen Bildes wirft…

Geruch verbrannten Kunststoffes

  Über das Tal breitet sich der unentrinnbare Geruch verbrannten Kunststoffes. Die Information über Haldenahbau, die sich offensichtlich, d.h. an der Verwilderung gemessen, auf die Zeit vor dem Krieg bezieht, lässt weitere, noch so abwegige Schlüsse, nicht zu. Darüber, hinter…

Schreiben! Schreiben dürfen!

Schreiben! Schreiben dürfen! Das bedeutet: Träumen vor einem weißen Blatt Papier, unbewusstes Gekritzel, das Spiel der Feder, die rund um einen Tintenklecks kreist, die das unvollkommene Wort benagt, zerkratzt, mit kleinen Pfeilen spickt, es mit Fühlern und Tatzen verziert, bis…

In statu narrandi

  In statu narrandi. Ich gehe träumerisch durch mein Leben, das steht schon in meinem ersten Schulzeugnis. Ich sehe mich in den Dingen gespiegelt. Kein Gott ist so stark wie ich, nicht einmal der Allmächtige. Ich bin der größte anzunehmende…

AM BAUM

  ich hänge, festgebunden am großen ast einer kiefer, in lichter höhe. mein gesicht, leicht nach oben gewandt, wirkt gelassen und gefaßt und verrät keinerlei schmerz, angst oder bedauern. am himmel ziehen langsam weiße wolken über mich hinweg. unter mir…

Mozart auf der Reise nach Prag

Diese Novelle gilt als die wohl „berühmteste Künstlernovelle des 19. Jahrhunderts“. Der Komponist ist mit seiner Gattin Konstanze auf dem Weg von Wien nach Prag, wo die Uraufführung seiner neuen Oper Don Juan stattfinden soll. Als man auf dem Land,…

Appell an den Geist

  Wir Menschen sind geschaffen, in Gesellschaft miteinander zu leben; wir sind aufeinander angewiesen, lelben voneinander, beackern miteinander die Erde und verbrauchen miteinander ihren Ertrag. Man mag diese Einrichtung der Natur als Vorzug oder als Benachteiligung gegenüber fast allen anderen…

Manchmal

  Manchmal schreibt Herr Nipp, ohne Literat zu sein, manchmal malt er und kann es nicht, er ist bekennender Raucher und raucht nicht, strikter Abstinenzler und liebt Wein, exzessiver Leser, ohne belesen zu sein, er liebt Musik und ist unmusikalisch,…

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  ein Kind mit zerbombtem Kiefer rennt in die Kamera dein Fernseher aber beginnt nicht zu brennen sag nennt man uns alle Menschen?   *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In…

Erkaltete Heizkörper

  Man lehnte zu viert an dem erkalteten Heizkörper mit dem Rücken zum Tageslichtfenster. Kaum lesbar das Namensschild an der Tür, der kleiner darunter gedruckte Titel, -die auch dort angehefteten Stundenblätter wurden durch die Atemzüge der Nächststehenden bewegt. Man horchte…

Entnichtung

  Entnichtung. Mir starb der beste Freund, er schaute blind ins Leere zuletzt. Ich spürte, er hörte jedes Wort. Drei Tage vor seinem Tod bewegte er die Lippen tonlos zwei Sätze lang. Der Sterbende ist immer weniger der, der er…

ENDEVOMANFANGANFANGVOMENDE

  ich bin nicht das was sie sagen nicht der den man sich denkt nicht die die ich für dich bin nicht das was ich war für den einen nicht das was ich nie war für keinen wie sollte auch…

Vorrede

  Diese Vorrede zu dem nachfolgenden Buche, um welche ich ersucht worden, kleid’ ich vielleicht mit Vortheil in eine Rezension ein, besonders, da die eigenen Vorreden der Verfasser ordentlicher Weise nichts sind, als offene Selberrezensionen. Auch dem Hrn. Verfasser dieses…

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  Pegelschläge. Am Strand öffnet sich ihr Sehnsuchtshorizont. Aus tiefblauem Meer ragen Felsen hervor, die versteinerten Tieren ähneln. Perlmuttfarbene Tintenfische trocknen unter der Sonne, ihre Haut ist so dünn, dass man hindurchsehen kann. Verlorene Federn. Wühlende Würmer. Laufende Limikolen beleben…

Die Götter im Exil

  Schon in meinen frühesten Schriften besprach ich die Idee, welcher die nachfolgenden Mittheilungen entsprossen. Ich rede nämlich hier wieder von der Umwandlung in Dämonen, welche die griechisch-römischen Gottheiten erlitten haben, als das Christenthum zur Oberherrschaft in der Welt gelangte.…

Der Irre

  Der Wärter gab ihm seine Sachen, der Kassierer händigte ihm sein Geld aus, der Türsteher schloß vor ihm die große eiserne Tür auf Er war im Vorgarten, er klinkte die Gartenpforte auf, und er war draußen. So, und nun…

Ende und Anfang sind derselbe Punkt

Ich lasse mich von den Ideen finden. Deshalb gehe ich niemals ohne Notizbuch aus dem Haus. Mein Notizbuch sieht für die meisten Menschen sehr kryptisch aus. Die umtriebige Erfurter Autorin Julia Kulewatz hat das tiefe Bedürfnis, auf eine neue Art…

Und wie ich mich so entferne

  Und wie ich mich so entferne, weiß ich schon gar nicht mehr, wo ich bin, sehe ich zu mir hinauf, oder sehe ich von oben auf mich herab, wie ich da unten stehe, so hell ins Schwarze hineingehalten, aber…

Impostor

Die fragmentarischen Reisenotizen von Boris Kerenski, der es wagt und damit etwas genuin Literarisches leistet, Bekanntes in neuem Licht erscheinen zu lassen: Sein Hollywood ist bar allen Glamours, ist ein heruntergekommener, stilloser Ort voller abgewirtschafteter Ramschläden, in dem die Menschen…

Aber der mensch unserer zeit

  Aber der mensch unserer zeit, der aus innerem drange die wände mit erotischen symbolen beschmiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter. Es ist selbstverständlich, daß dieser drang menschen mit solchen degenerationserscheinungen in den anstandsorten am heftigsten überfällt. Man kann…

Tschandragupta

Meinem Sohn Paul Tschandragupta ist siebenzig Jahre alt. Am frühen Morgen wird ihn sein Sohn erschlagen. So ist es Sitte im Stamm. Und vor ihren Zelten schreien die Weiber und ihre Söhne klatschen mit ihren Händen einen wilden Freudentaumel. Der…

Haschisch in Marseille

  Vorbemerkung: Eines der ersten Zeichen, daß der Haschisch zu wirken beginnt, »ist ein dumpfes Ahnungs- und Beklommenheitsgefühl; etwas Fremdes, Unentrinnbares naht … Bilder und Bilderreihen, längst versunkene Erinnerungen treten auf, ganze Szenen und Situationen werden gegenwärtig, sie erregen zuerst…

Fragment

  Der Fallensteller wird sich ändern Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen. und für Singvögel. Draußen stand jemand mit Stimme, es rief ihn/er schrieb (später) Lesestoff. Ihn aber nannte niemand, den er flüsternd…

Das abstrakte Theater

I Jede Zeit hat [die Kunst, die es verdient] ihr Theater, jede das Ihre, jede ein anderes. Dem künstlerischen Tiefstand unserer Zeit entspricht der Tiefstand ihres Theaters. Aber nachdem heute einige junge Quellen wirklicher Kunst aufgebrochen sind, geht endlich auch…

BILD 1. Karibische Landschaft.

  Das Meer im Hintergrund: von Türkis bis Indigo. Der Himmel oben: von Ultramarin bis Kobalt. Der Sonnenkreis in der Mitte: von Orange bis Purpurrot. Dunkelblaue Umrisse im Vordergrund: eine Frau und ein Mann. Sie sitzen in einem Café am…

Zwischen Nichts und Nichts

  Die Hineingehaltenheit meines Seins in das Nichts sehe ich vor mir, ich sehe mich in der Schwärze der Nacht, ich bin weiß und leuchte in die Nacht beim Öffnen der Raumtür, ich weiß nicht, tu ich das selber oder…

Eine Ausschweifung

  Hier in meinem lichten Atelier ist es endlich zur Aussprache zwischen uns gekommen, und nirgends anders durfte es auch sein, – denn von sämtlichen Männern, die ich gekannt, gehörst du am engsten und intimsten in alles das hinein, was…

mikroprosa der toleranz

  »Herr Nipp – Guppy in Gin« enthält neue nipp-geschichten von haimo hieronymus, entstanden 2020, die mich, wie schon die früheren aus »Die Angst perfekter Schwiegersöhne – ernste Geschichte von Herrn Nipp«, 2011, »Unerhörte Möglichkeiten / Kurznovellen aus dem Nippiversum«,…

Novelle

Indeß gereicht es mir zur angenehmsten Empfindung, daß die ‚Novelle‛ freundlich aufgenommen wird; man fühlt es ihr an, daß sie sich vom tiefsten Grunde meines Wesens losgelöst hat. Die Conception ist über dreyßig Jahre alt. – Brief Goethes aus dem…

Eine Welt der ausgeschalteten Logik

  Der als Copyright der Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft erschienene Band stellt eine Auswahl der Erzählungen des russischen Schriftstellers Daniil Charms dar. Sie beruht auf der bislang vollständigsten deutschsprachigen Ausgabe Daniil Charms Alle Fälle. Das unvollständige Gesamtwerk in zeitlicher…

Reitergeschichte

  Den 22. Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verließ ein Streifkommando, die zweite Eskadron von Wallmodenkürassieren, Rittmeister Baron Rofrano mit einhundertsieben Reitern, das Kasino San Alessandro und ritt gegen Mailand. Über der freien, glänzenden Landschaft lag eine unbeschreibliche Stille;…

Du schon da!

  Du schon da! Ich stehe auf dem Balkon. Hinter mir die Zinkwanne, ich habe sie bis oben hin mit Wasser gefüllt. Mit roten, weißen und blauen Ankerbausteinen baute ich ein Unterwasserschloss, mit Säulen, Toren und Fensterbögen. Die Bleisoldaten stehen…

A Feel-Bad Romance

  Mit „Liarmouth: A Feel-Bad Romance“ hat der Trashfilmer, Kunstsachverständige und Buchautor John Waters seinen ersten Roman veröffentlicht. Im Porträt in der Los Angeles Times gibt er sich wie gewohnt kantig, aber herzig. Ursprünglich sollte der Stoff ein Film werden.…

Geklebte Papiere

Bildlich im besten Sinne ist auch die Kunst der Collage. Zusammengefügt wird hier was im Original keine offensichtliche Kohärenz hat. Unter der Hand des Collageurs fügen sich Gestalten zusammen, entstehen Bezüge, formal wie inhaltlich. Boris Kerenski zeigt dies meisterlich, zumal…

Bunte Steine

Weil es unermeßlich viele Steine gibt, so kann ich gar nicht voraus sagen, wie groß diese Sammlung werden wird. Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, daß ich nur das Kleine bilde, und daß meine Menschen stets gewöhnliche Menschen seien.…

Das Fräulein von Scuderi

  E. T. A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi gehört zu einer Sammlung von 19 Erzählungen, Novellen und Märchen, die 1819–1821 in vier Bänden unter dem Titel Die Serapionsbrüder in Berlin erschien. Am Tag des heiligen Serapion, am 14.…

Kabelaffe

  Morgens um 7:00 Uhr muss sich Kid C. auf der Bude melden. Die Bude ist das Materiallager von Elektro–Müller & Co. Hier herrscht die Aufgeräumtheit eines Flugzeughangars, das Werkzeug geordnet wie Operationsbesteck, die Monteure in ihren grauen Kitteln würdig…

Ichung

  Die Kugel durchdringt den Kern und wirft die Geißel ab, nun Kugel in der Kugel. Fischblase mit der türigen Wand vor dem Ich zwischen Arktis und Antarktis. Da schwimmt das Universum im Universum. Nord und Süd gehen ineinander, vertunneln…

Wie nun also weiter?

  Als er am nächsten Morgen erwacht war, den ersten Kaffee getrunken hatte und sich wunderte, dass alles sehr ordentlich aussah, keine Matratze, die einfach so herumlag, keine verstreuten Dinge auf dem Boden und den Tischen, sondern klare Sache, wusste…

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  glaubst daran immer noch so kann man Leben: als Floos und Wasser zugleich     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach,…

Der Scheik

Meiner teuren Mutter Mein Vater hat mir schon so oft die Geschichte aus dem Leben meines Urgroßvaters erzählt, ich glaube nun, ich habe sie selbst erlebt … Nicht einmal der Insektenabwehrer durfte hinter dem großen Straußenwedel dem Gespräche lauschen, das…

Die Sekunde des Ballspielers oder Der Gegenfüßler

Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn -; erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles, den eine ewige Mit-Spielerin dir zuwarf, deiner Mitte, in genau gekonntem Schwung, in einem jener Bögen aus Gottes großem Brücken-Bau: erst…