Kategorie: Allgemein

Lapidargedichte

  Es geht um ‚sachliche Wirklichkeit im Sinne der existenziellen Befindlichkeit‘, schreibt der Autor über seine zuletzt erschienen Gedichte. Keine Metaphern, keine Überhöhungen, nicht das Schöne sei angestrebt. Sogenannte ‚Lapidargedichte‘ nennt Wiplinger diese Lyrik. Mit diesem Begriff bin ich nicht…

Die Bauhütte®

  Karl Richter ist heilfroh, nach seiner Rehabilitation einen Lebensrhythmus zu haben. Ein Pilot–Projekt, bei dem sich die Stelle aus dem Kapitalrückfluss finanzieren soll. Im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmassnahme ist er als Detektiv im Heimwerkermarkt Bauhütte® tätig. Der Name des Geschäfts fusst…

Die schwarzen Kühe der Nacht

  Die schwarzen Kühe der Nacht. Als ich ein Kind war, da sangen und sprangen wir in die mit Kreide auf blauen Asphalt gemalten Kästchen zwischen Himmel und Hölle: Kaiser König Edelmann – Bürger Bauer Bettelmann … Hein der Schnitter…

Der Fallensteller

Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen, und für Singvögel. Wieviele heute Fallen stellen, bleibt dunkel. Der Hof war von der Außenwelt abgeschlossen, nein, wie abgeschlossen. Er war ja durch wenige Fenster einsehbar, auch…

die ornament-seuche

  Nun gut, die ornament-seuche ist staatlich anerkannt und wird mit staatsgeldern subventioniert. Ich aber erblicke darin einen rückschritt. Ich lasse den einwand nicht gelten, daß das ornament die lebensfreude eines kultivierten menschen erhöht, lasse den einwand nicht gelten, der…

Der Derwisch

Franz Marc und Mareia Die englischen Damen reiten jeden Abend auf ihren Eseln die heiße Gräberstraße entlang, die heiligen Katzen hinter den Gittern der Gräber blicken schon weltlich. Der Derwisch tanzt. Die Ladies mit den hellen Augen like the spring…

Strandgut

  Strandgut aus der Sprachdiffusion auflesen / goldene Schimmer daraus machen / die Erde damit beflecken / wie Jean Krier / poetische Alchemie     *** Mit seiner micropoetry gelingt es Denis Ullrich eine übernutzte Sprache zu entkernen. Seine vielgestaltigen Texte…

baumbücher aus der vergifteten welt

BÄUME »Bäume vergessen nicht« ist ein unikates buchobjekt, ein baumbuch von baumholz ummantelt, in dem das innere, das man aufklappen kann, wie bei bäumen von der rinde geschützt wird. uwe albert schreibt: »Als Kind setzte ich mich manchmal an einen…

SCHWARZ UND WEISS

  Der See hätte auseinanderbrechen müssen wie damals dem Moses und seinem Volk das Rote Meer, um eines Menschen Gedanken da hindurchführen zu können. Da, in der Mitte, der Länge nach, war nicht einmal Überschwang, nur RISS, das Allerentfernteste, das…

Zwischen Stäben

  Zwischen Stäben. Ich dehne mich aus, sagt Die Expansion, ich weiß nicht, wie. Ich auch nicht, sagt Die erste Dimension. Da war ich bestimmt schon da, sagt Die Gravitation, oder auch nicht, ich kann mich nicht genau erinnern, ich…

Befindlichkeit

  „Du arrogantes Arschloch, Kotzbrocken“, so war Herr Nipp noch nie bezeichnet worden. Auch folgende Sequenzen, er gebe doch immer nur den anderen Leuten die Schuld und kümmere sich um rein gar nichts, nicht einen kleinen Handschlag habe er getan,…

Kleider machen Leute

  Die Novelle Kleider machen Leute handelt von dem Schneidergesellen Wenzel Strapinski, der sich trotz Armut gut kleidet. Er gelangt in eine fremde Stadt namens Goldach und wird dort wegen seines Äußeren für einen polnischen Grafen gehalten. Nachdem er aus…

Im Fegefeuer des Krieges

Am 4. März 1916 ist Franz Marc in einem sinnlosen Krieg bei Verdun gefallen. Was wir Krieger in diesen Monaten draußen erleben, überragt in weitem Bogen unsere Denk­kraft. Wir werden Jahre brauchen, bis wir diesen sagenhaften Krieg als Tat, als unser…

Suchbild

  Der Blick, forschend. Ihre Kamera, ein Wahrheitsautomat. Sie bildet nicht ab, sondern zeichnet mit Licht. Tastet Raum / Zeit / Landschaft nach Anmutsmustern ab, inszeniert in einem Gestaltungsfeld imaginäre Ansichten blühender Landschaften. Sequenzen. Die Erinnerung des vorherigen Bildes wirft…

Geruch verbrannten Kunststoffes

  Über das Tal breitet sich der unentrinnbare Geruch verbrannten Kunststoffes. Die Information über Haldenahbau, die sich offensichtlich, d.h. an der Verwilderung gemessen, auf die Zeit vor dem Krieg bezieht, lässt weitere, noch so abwegige Schlüsse, nicht zu. Darüber, hinter…

Schreiben! Schreiben dürfen!

Schreiben! Schreiben dürfen! Das bedeutet: Träumen vor einem weißen Blatt Papier, unbewusstes Gekritzel, das Spiel der Feder, die rund um einen Tintenklecks kreist, die das unvollkommene Wort benagt, zerkratzt, mit kleinen Pfeilen spickt, es mit Fühlern und Tatzen verziert, bis…

In statu narrandi

  In statu narrandi. Ich gehe träumerisch durch mein Leben, das steht schon in meinem ersten Schulzeugnis. Ich sehe mich in den Dingen gespiegelt. Kein Gott ist so stark wie ich, nicht einmal der Allmächtige. Ich bin der größte anzunehmende…

AM BAUM

  ich hänge, festgebunden am großen ast einer kiefer, in lichter höhe. mein gesicht, leicht nach oben gewandt, wirkt gelassen und gefaßt und verrät keinerlei schmerz, angst oder bedauern. am himmel ziehen langsam weiße wolken über mich hinweg. unter mir…

Mozart auf der Reise nach Prag

Diese Novelle gilt als die wohl „berühmteste Künstlernovelle des 19. Jahrhunderts“. Der Komponist ist mit seiner Gattin Konstanze auf dem Weg von Wien nach Prag, wo die Uraufführung seiner neuen Oper Don Juan stattfinden soll. Als man auf dem Land,…

Appell an den Geist

  Wir Menschen sind geschaffen, in Gesellschaft miteinander zu leben; wir sind aufeinander angewiesen, lelben voneinander, beackern miteinander die Erde und verbrauchen miteinander ihren Ertrag. Man mag diese Einrichtung der Natur als Vorzug oder als Benachteiligung gegenüber fast allen anderen…

Manchmal

  Manchmal schreibt Herr Nipp, ohne Literat zu sein, manchmal malt er und kann es nicht, er ist bekennender Raucher und raucht nicht, strikter Abstinenzler und liebt Wein, exzessiver Leser, ohne belesen zu sein, er liebt Musik und ist unmusikalisch,…

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  ein Kind mit zerbombtem Kiefer rennt in die Kamera dein Fernseher aber beginnt nicht zu brennen sag nennt man uns alle Menschen?   *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In…

Erkaltete Heizkörper

  Man lehnte zu viert an dem erkalteten Heizkörper mit dem Rücken zum Tageslichtfenster. Kaum lesbar das Namensschild an der Tür, der kleiner darunter gedruckte Titel, -die auch dort angehefteten Stundenblätter wurden durch die Atemzüge der Nächststehenden bewegt. Man horchte…

Entnichtung

  Entnichtung. Mir starb der beste Freund, er schaute blind ins Leere zuletzt. Ich spürte, er hörte jedes Wort. Drei Tage vor seinem Tod bewegte er die Lippen tonlos zwei Sätze lang. Der Sterbende ist immer weniger der, der er…

ENDEVOMANFANGANFANGVOMENDE

  ich bin nicht das was sie sagen nicht der den man sich denkt nicht die die ich für dich bin nicht das was ich war für den einen nicht das was ich nie war für keinen wie sollte auch…

Vorrede

  Diese Vorrede zu dem nachfolgenden Buche, um welche ich ersucht worden, kleid’ ich vielleicht mit Vortheil in eine Rezension ein, besonders, da die eigenen Vorreden der Verfasser ordentlicher Weise nichts sind, als offene Selberrezensionen. Auch dem Hrn. Verfasser dieses…

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  Pegelschläge. Am Strand öffnet sich ihr Sehnsuchtshorizont. Aus tiefblauem Meer ragen Felsen hervor, die versteinerten Tieren ähneln. Perlmuttfarbene Tintenfische trocknen unter der Sonne, ihre Haut ist so dünn, dass man hindurchsehen kann. Verlorene Federn. Wühlende Würmer. Laufende Limikolen beleben…

Die Götter im Exil

  Schon in meinen frühesten Schriften besprach ich die Idee, welcher die nachfolgenden Mittheilungen entsprossen. Ich rede nämlich hier wieder von der Umwandlung in Dämonen, welche die griechisch-römischen Gottheiten erlitten haben, als das Christenthum zur Oberherrschaft in der Welt gelangte.…

Der Irre

  Der Wärter gab ihm seine Sachen, der Kassierer händigte ihm sein Geld aus, der Türsteher schloß vor ihm die große eiserne Tür auf Er war im Vorgarten, er klinkte die Gartenpforte auf, und er war draußen. So, und nun…

Ende und Anfang sind derselbe Punkt

Ich lasse mich von den Ideen finden. Deshalb gehe ich niemals ohne Notizbuch aus dem Haus. Mein Notizbuch sieht für die meisten Menschen sehr kryptisch aus. Die umtriebige Erfurter Autorin Julia Kulewatz hat das tiefe Bedürfnis, auf eine neue Art…

Und wie ich mich so entferne

  Und wie ich mich so entferne, weiß ich schon gar nicht mehr, wo ich bin, sehe ich zu mir hinauf, oder sehe ich von oben auf mich herab, wie ich da unten stehe, so hell ins Schwarze hineingehalten, aber…

Impostor

Die fragmentarischen Reisenotizen von Boris Kerenski, der es wagt und damit etwas genuin Literarisches leistet, Bekanntes in neuem Licht erscheinen zu lassen: Sein Hollywood ist bar allen Glamours, ist ein heruntergekommener, stilloser Ort voller abgewirtschafteter Ramschläden, in dem die Menschen…

Aber der mensch unserer zeit

  Aber der mensch unserer zeit, der aus innerem drange die wände mit erotischen symbolen beschmiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter. Es ist selbstverständlich, daß dieser drang menschen mit solchen degenerationserscheinungen in den anstandsorten am heftigsten überfällt. Man kann…

Tschandragupta

Meinem Sohn Paul Tschandragupta ist siebenzig Jahre alt. Am frühen Morgen wird ihn sein Sohn erschlagen. So ist es Sitte im Stamm. Und vor ihren Zelten schreien die Weiber und ihre Söhne klatschen mit ihren Händen einen wilden Freudentaumel. Der…

Haschisch in Marseille

  Vorbemerkung: Eines der ersten Zeichen, daß der Haschisch zu wirken beginnt, »ist ein dumpfes Ahnungs- und Beklommenheitsgefühl; etwas Fremdes, Unentrinnbares naht … Bilder und Bilderreihen, längst versunkene Erinnerungen treten auf, ganze Szenen und Situationen werden gegenwärtig, sie erregen zuerst…

Fragment

  Der Fallensteller wird sich ändern Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen. und für Singvögel. Draußen stand jemand mit Stimme, es rief ihn/er schrieb (später) Lesestoff. Ihn aber nannte niemand, den er flüsternd…

Das abstrakte Theater

I Jede Zeit hat [die Kunst, die es verdient] ihr Theater, jede das Ihre, jede ein anderes. Dem künstlerischen Tiefstand unserer Zeit entspricht der Tiefstand ihres Theaters. Aber nachdem heute einige junge Quellen wirklicher Kunst aufgebrochen sind, geht endlich auch…

BILD 1. Karibische Landschaft.

  Das Meer im Hintergrund: von Türkis bis Indigo. Der Himmel oben: von Ultramarin bis Kobalt. Der Sonnenkreis in der Mitte: von Orange bis Purpurrot. Dunkelblaue Umrisse im Vordergrund: eine Frau und ein Mann. Sie sitzen in einem Café am…

Zwischen Nichts und Nichts

  Die Hineingehaltenheit meines Seins in das Nichts sehe ich vor mir, ich sehe mich in der Schwärze der Nacht, ich bin weiß und leuchte in die Nacht beim Öffnen der Raumtür, ich weiß nicht, tu ich das selber oder…

Eine Ausschweifung

  Hier in meinem lichten Atelier ist es endlich zur Aussprache zwischen uns gekommen, und nirgends anders durfte es auch sein, – denn von sämtlichen Männern, die ich gekannt, gehörst du am engsten und intimsten in alles das hinein, was…

mikroprosa der toleranz

  »Herr Nipp – Guppy in Gin« enthält neue nipp-geschichten von haimo hieronymus, entstanden 2020, die mich, wie schon die früheren aus »Die Angst perfekter Schwiegersöhne – ernste Geschichte von Herrn Nipp«, 2011, »Unerhörte Möglichkeiten / Kurznovellen aus dem Nippiversum«,…

Novelle

Indeß gereicht es mir zur angenehmsten Empfindung, daß die ‚Novelle‛ freundlich aufgenommen wird; man fühlt es ihr an, daß sie sich vom tiefsten Grunde meines Wesens losgelöst hat. Die Conception ist über dreyßig Jahre alt. – Brief Goethes aus dem…

Eine Welt der ausgeschalteten Logik

  Der als Copyright der Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft erschienene Band stellt eine Auswahl der Erzählungen des russischen Schriftstellers Daniil Charms dar. Sie beruht auf der bislang vollständigsten deutschsprachigen Ausgabe Daniil Charms Alle Fälle. Das unvollständige Gesamtwerk in zeitlicher…

Reitergeschichte

  Den 22. Juli 1848, vor 6 Uhr morgens, verließ ein Streifkommando, die zweite Eskadron von Wallmodenkürassieren, Rittmeister Baron Rofrano mit einhundertsieben Reitern, das Kasino San Alessandro und ritt gegen Mailand. Über der freien, glänzenden Landschaft lag eine unbeschreibliche Stille;…

Du schon da!

  Du schon da! Ich stehe auf dem Balkon. Hinter mir die Zinkwanne, ich habe sie bis oben hin mit Wasser gefüllt. Mit roten, weißen und blauen Ankerbausteinen baute ich ein Unterwasserschloss, mit Säulen, Toren und Fensterbögen. Die Bleisoldaten stehen…

A Feel-Bad Romance

  Mit „Liarmouth: A Feel-Bad Romance“ hat der Trashfilmer, Kunstsachverständige und Buchautor John Waters seinen ersten Roman veröffentlicht. Im Porträt in der Los Angeles Times gibt er sich wie gewohnt kantig, aber herzig. Ursprünglich sollte der Stoff ein Film werden.…

Geklebte Papiere

Bildlich im besten Sinne ist auch die Kunst der Collage. Zusammengefügt wird hier was im Original keine offensichtliche Kohärenz hat. Unter der Hand des Collageurs fügen sich Gestalten zusammen, entstehen Bezüge, formal wie inhaltlich. Boris Kerenski zeigt dies meisterlich, zumal…

Bunte Steine

Weil es unermeßlich viele Steine gibt, so kann ich gar nicht voraus sagen, wie groß diese Sammlung werden wird. Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, daß ich nur das Kleine bilde, und daß meine Menschen stets gewöhnliche Menschen seien.…

Das Fräulein von Scuderi

  E. T. A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi gehört zu einer Sammlung von 19 Erzählungen, Novellen und Märchen, die 1819–1821 in vier Bänden unter dem Titel Die Serapionsbrüder in Berlin erschien. Am Tag des heiligen Serapion, am 14.…

Kabelaffe

  Morgens um 7:00 Uhr muss sich Kid C. auf der Bude melden. Die Bude ist das Materiallager von Elektro–Müller & Co. Hier herrscht die Aufgeräumtheit eines Flugzeughangars, das Werkzeug geordnet wie Operationsbesteck, die Monteure in ihren grauen Kitteln würdig…

Ichung

  Die Kugel durchdringt den Kern und wirft die Geißel ab, nun Kugel in der Kugel. Fischblase mit der türigen Wand vor dem Ich zwischen Arktis und Antarktis. Da schwimmt das Universum im Universum. Nord und Süd gehen ineinander, vertunneln…

Wie nun also weiter?

  Als er am nächsten Morgen erwacht war, den ersten Kaffee getrunken hatte und sich wunderte, dass alles sehr ordentlich aussah, keine Matratze, die einfach so herumlag, keine verstreuten Dinge auf dem Boden und den Tischen, sondern klare Sache, wusste…

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  glaubst daran immer noch so kann man Leben: als Floos und Wasser zugleich     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach,…

Der Scheik

Meiner teuren Mutter Mein Vater hat mir schon so oft die Geschichte aus dem Leben meines Urgroßvaters erzählt, ich glaube nun, ich habe sie selbst erlebt … Nicht einmal der Insektenabwehrer durfte hinter dem großen Straußenwedel dem Gespräche lauschen, das…

Die Sekunde des Ballspielers oder Der Gegenfüßler

Solang du Selbstgeworfnes fängst, ist alles Geschicklichkeit und läßlicher Gewinn -; erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles, den eine ewige Mit-Spielerin dir zuwarf, deiner Mitte, in genau gekonntem Schwung, in einem jener Bögen aus Gottes großem Brücken-Bau: erst…

Lenz

Vorbemerkung der Redaktion: Ist Büchners „Lenz“ – ein psychiatrischer Fall? – Bringt die diarische Aufzeichnungsform als Prosa eine Erzählung oder eine Novelle hervor?   Den 20. Jänner ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler…

WURM

  ich liege im bett und weiß, daß alle menschen, die ich kenne, nicht mehr leben, weil eine riesenschlange sie während meines schlafs gefressen hat. einzig regenwürmer existieren noch vereinzelt. ich erschrecke vor meiner einsamkeit und spüre zugleich, wie sich…

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  Blinklicht: Fasten Seat Belt. Turbinen wirbeln das erste Laub über die Startbahn. Der Jet faucht an trapezförmiger Funktionsarchitektur vorbei, die an ein Kühlhaus erinnert, weiss und steril. Langsam, stetig entgleitet ihnen der Heimatboden unter den Füssen. Eine Kehre markiert…

Das Leben braucht uns nicht

  Das Leben braucht uns nicht, sagst du, der Satz ist tückisch, denn er suggeriert ein Subjekt über mir. Ich sage, ich bin das Leben, solange meine Sanduhr tickt, und ich werde nicht wahnsinnig wie Hölderlin an dem Gedanken, dass…

Die Verderblichkeit der Immunstoffe

Wohin, wohin so schnell? Wohin mit der Gitarre, jetzt, Nachtfahrzeit, in einem Bus durch…Berlin? Als er den Fahrschein zu fassen kriegt, kann man die Zahlen darauf nicht mehr erkennen, so nasse Hände hat er. Wie machen Sie das denn beim…

Die Tigerin

Auszug Kein Mensch wußte, wovon er eigentlich lebte. Das ist zwar in den maßgebenden Kreisen von Paris die Voraussetzung dafür, ernst genommen zu werden; der Umstand aber, daß man Fec weder spielen sah, noch je in deutlicher Gesellschaft eines weiblichen…

Schon früh am Morgen

  Schon früh am Morgen begann er sich Sorgen zu machen: um seine moralische Integrität, die sozialen Verhältnisse, die Zukunft der Literatur und die Fortexistenz des Planeten. Stundenlang kramte er in seinem überfüllten Leben herum, um irgendetwas zu suchen, ein…

Der Lottospieler

  Walburga »die Titte« Oschmann verdankte ihren despektierlichen Spitznamen einer anatomischen Besonderheit, die sie weit über das Viertel hinaus zu einer Art Sehenswürdigkeit machte. Während sich ihre linke Brust zu einer ansehnlichen D-Körbchen-Größe entwickelt hatte, war die rechte Brust praktisch…

Glückssucher

  Jahrelang hatte er darauf gewartet, dass Glück kommen würde, hatte Passivität gezeigt, eben gelitten. Er war der Passiv, die Leidensform. Glück erschien ihm immer als konjunktivisch in jeglicher Form. Es könnte sein, könne kommen… Nun aber war er erwacht,…

Begründe dein eigenes Glück

  „Begründe dein eigenes Glück!“, sprach eine Stimme über mir, ich drehte mich um und schaute hinauf. Das Fenster war halb geöffnet, das Holz der Fensterläden reflektierte die Stimme aus dem Innern. „Lebe deine Natur aus gegen den Irrsinn der…

Der menschliche embryo

  Der menschliche embryo macht im mutterleibe alle entwicklungsphasen des tierreiches durch. Wenn der mensch geboren wird, sind seine sinneseindrücke gleich denen eines neugeborenen hundes. Seine kindheit durchläuft alle wandlungen, die der geschichte der menschheit entsprechen. Mit zwei jahren sieht…

Rheinsberg

  Seinen eigentlichen Anfang nahm das Abenteuer erst, als sie in Löwenberg ausstiegen. Der D-Zug ruhte lang und dunkel in der Halle unter dem Holzdach – sie durchschritten einen Tunnel, oben, in hellem Sonnenlicht, stand die Kleinbahn, wie aus Holz…

Rede am Grabe Leo Reins

 (In der Berliner Börsenzeitung 547 v.27.11.21) Zunächst behaupte ich, Herr Kritiker Leo Rein wäre tot. Kritiker sind tot oder Dadaisten. Ich behaupte, Herr Rein wäre beides, weil das so schön geht. Seiner Rede fehlt die Wärme, das Flaisch, sie klappert…

Baja California

  Wer ein Fan des Schweizer Erfolgsautors ist, wer seine spektakulären historischen Romane wie „Das Gold der Kelten“, „Der Henker von Paris“ oder „Der Bankier Gottes“ gelesen hat, wer seinen jüngsten Mahnruf zur drohenden Epidemie „Genesis. Pandemie aus dem Eis“…

Begegnungen und Augenblicke

  Beobachtet hatte ich ihn schon oft und eindringlich. Wenn er in Wien war, saß er im Café Hawelka, meist an dem runden Säulentisch gleich beim Eingang, wo auf einem Nebentisch die Zeitungen lagen, in denen er eifrig las. Und…

An der Schnittstelle zweier Kulturen

In der griechischen Urbedeutung ist der choros die Sprecher-­ oder Sängergruppe, die im antiken Drama auftrat. Später hieß choros dann auch Tanz, worunter aber auch der Gruppentanz, also der Reigen verstanden wurde. Die Bulgaren haben das Wort übernommen, bei ihnen…

Beat it!

  Geschlagen werden? Das war doch normal! Ich erinnere mich nicht, wann und wo ich die erste Ohrfeige kassierte (ich wünsche, ich würde es können), oder ob mir der Po versohlt wurde, und wegen was. Diese Begegnung mit der unangenehmen…

Mehr als Schullektüre

Gestern abend habe ich Dir nicht geschrieben, weil es über Michael Kohlhaas zu spät geworden ist (kennst Du ihn? Wenn nicht, dann lies ihn nicht! Ich werde Dir ihn vorlesen!), den ich bis auf einen kleinen Teil, den ich schon…

Erster Schritt

  Jean Gionos Lächeln zu erwidern, fiel mir schwer. Er schaute, als er das Fenster öffnete, hinab in die Tiefe des Mittagsschattens, seine Augen fanden mich, und als er in die Schwärze seines Zimmers schräg über dem Eingang des kleinen…

Ein novellistisches Jahr

Die Novelle ist die Schwester des Dramas. Theodor Storm Im Jahr 2022 widmet sich KUNO ausführlich der literarischen Kunstform Novelle. Der Begriff kommt von dem italienischen Wort novella, was „kleine Neuigkeit“ bedeutet. Die Gattung lebt von der Schilderung der Realität…

Abschied nehmen

Niemals geht man so ganz irgendwas von mir bleibt hier Trude Herr Natürlich geht es hier nicht um irgendwelche Zombies. Es mag ja sein, dass diese gerne zu Figuren der Horrorliteratur werden oder, wie aus mindestens einem Fall bekannt ist,…

Espresso

    gestützt an der Theke auf wackligem Hocker Hand am Tassengriff bitter der Schwarze small talk auf Augenhöhe sinnierend ob eins zum andern passt     *** Fragen im Schlepptau, Gedichte von Ines Hagemeyer. Ludwigsburg: Pop Verlag. 2021 Weiterführend…

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  Wirbelst die Flügel so dicht in deinem Gesicht willst Kind sein wieder vom Himmel Mitten hin weg dieses Hirn denn sonst die Zungen so festgefroren und um welchen Preis Feuer unter der Haut so Sehnsucht wenn Augen nicht sehen…

Der Karthograph des Rheinlands

Heimat ist Vertrautheit. Ist ein mitgegebener oder aufgesuchter Bezugsraum. Etwas, das man sich vormacht oder etwas Vorgemachtes. Ein wie auch immer energetisches Zentrum für Exkursionen und Wiederkünfte, Fluchten und Bewahrungsbestrebungen. Heimat schafft Mentalität, sei es mittels Adaption oder mittels Abwehr.…

Dialektik

  Ich betrat den Minkowski-Raum. Ich suchte die Formel. Der Raum war leer. Kein Fenster, kein Licht. Aber ich sah sie – und Einstein sah mich. „Gott würfelt nicht“, sagte er, „die Quantentheorie ist nicht das Ei des Columbus, für…

Der Hang zum Gesamtkunstwerk

Wenn du nach dem Stil suchst, dann findest du den Tod. Aber wenn du das Leben suchst, dann findest du den Stil. Eduardo de Filippo Cover: Mischa Kuball Literatur entsteht langsam, sie muss nicht reagieren wie etwa der tagesaktuelle Journalismus…

Tektonik des Herzens

  Liebesinvaliden ueberwintern in einer Beziehung zweier emotional vernarbter Seelen montieren verblasste Bilder zu neuen Erklærungsmustern, um unter der Oberflæche etwas zu erhaschen was man einst ‚Individualitæt‘ nannte   Durchgangswesen flirren durch ein Herzensgefieder in herausfordernder Virilitæt trifft Gefuehlsrhetorik auf…

Nunsploitation

  Der Veteran des Edel-Trash hat sich dem Nunsploitation-Genre gewidmet. Paul Verhoeven erkundet die latente Sexualisierung des Jesus-Kults, insbesondere die Ikonografie des Nonnenfilms. Benedetta ist die Verfilmung von Judith Cora Browns Biografie „Schändliche Leidenschaften: das Leben einer lesbischen Nonne in…

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  das Glück liegt in blauen Kleidern unterm Baum und schläft     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2021 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben…

AUSSICHTEN

  Am Cover ist eine blühende Geranie im Fenster eines alten Hauses in Haslach, Wiplingers Herkunftsort, zu sehen. Ein Foto des Autors. Was sieht man durch dieses kleine, dunkle Fenster, was sieht man von einem Aussichtsturm? Nicht viel, wenn die…

Heimat

  Nun haben wir auf vielen Seiten Nein gesagt, Nein aus Mitleid und Nein aus Liebe, Nein aus Haß und Nein aus Leidenschaft – und nun wollen wir auch einmal Ja sagen. Ja –: zu der Landschaft und zu dem…

Hörspiel als Spiel

Vorbemerkung der Redktion: 200 Jahre alt wollte sie werden. Zum ersten Geburtstag, den KUNO ohne sie feiern muss, beleuchtet A.J. Weigoni ein Stück Mediengeschichte. Mit der Industrialisierung begann das Zeitalter der Kurzgeschichte. Damit war die Geschichte des bürgerlichen Bildungsromans beendet.…

Zeitverschobene Perspektive

  Das Signalwort ‚Katyn’, die Abbildung einer jungen Pilotin auf dem Buchumschlag und die Aussage der amerikanischen Flugpionierin Amelia Earhart (1897-1939) „Der Flug ist das Leben wert“ (vgl. S. 5) bilden die ersten Leitlinien dieses außergewöhnlichen Briefromans der polnischen Autorin…

Goldrot rostender Cortenstahl

  von Staat & Gesellschaft entfremdet mit der Unfæhigkeit nicht zu trauern gefangen im kontrapunktischen Sprachtableaux mit durchgehaltenem Stoizismus von unsichtbarer Sehnsucht verzehrt… nichtssuchend im Universum mœglicher Tœne einem Resonanzkœrper fuer: Klang, Geist & Seele metaphysische Reserven im Ideengefæss ausloten…