Kategorie: Allgemein

Faulgase

  Abwärts zur Rechten plötzlich ein weitläufiger Ziegelgepflasterter Platz, an dessen Peripherie die gedrungene Bruchsteinkapelle, deren Bild den befreiten Blick sofort wieder verschließt. Das Fehlen von Kultgegenständen und Symbolen im Umfeld der Stätte versöhnt nicht ganz fremd bezieht sie sich…

Sie hatten Talent

  Sie liebten mit Lücken und klagten in Stücken. Mit Fingern konnten sie schnippen. Doch leider nur mit den Fingern.     *** Blempek ist ein Trick, der sich bewährt, von Joanna Lisiak, 2018, 356 Seiten, isbn 978-3-75280-372-3 Weiterführend →…

Gedichte fürs Gedächtnis

An der Wasserscheide zwischen Vergessen und Erinnern Die Sonette von Walther Stonet meint man förmlich zu hören. Sie erinnern an jene kleinen Tonstücke, die man im deutschen Barok als Klinggedicht bezeichnete. Auch Stonets Gedichte bestehen aus aus 14 metrisch gegliederten…

Reinste Gegenwartsbeschreibung

  A.J. Weigonis Prosatexte waren scharfsinnige sprachexperimentelle Gesellschaftsbeobachtungen und möglicherwiese sogar „Diagnosen“, ohne allerdings als lästige soziologische „Studien“ daherzukommen. Der eigenwillige Sound, die eigensinnige Schreibweise und ihr gesellschaftskritischer Ton machten ihn bereits in der BRD zu einem untypischen Schriftsteller von…

REISE

  ich besteige mit einer freundin auf einer wendeltreppe einen turm. plötzlich verschwinden die turmmauern und wir hängen außen an einem schornstein, der unendlich weit in die nacht hineinragt. während wir weiter hinauf steigen, erklärt mir die freundin die architektur…

La Fontana

Bonn, La Fontana, 27. Juli Lieber Peter, stell dir vor: Ich laufe vom Radschert in Todtnauberg auf den Weg oberhalb von Rütten, in der Ferne der Gipfel des Feldbergs, und sehe unter mir Heideggers Hütte – da kommt er mir…

Zugehörigkeit- und Identität

Anmerkungen zu Petar/Peter Tyran Ein ehemaliger burgenländischer Landeshauptmann hat einmal nach meiner Fotoausstellung über „Die bäuerliche Architektur im burgenländischkroatischen Siedlungsraum“, in der ich nicht nur die Schönheit dieser Architektur, sondern auch ihre systematische Zerstörung aufgezeigt habe, nach dem dritten Bier…

Wie ich von Wagner loskam

Immer wenn ich Wagner höre, überkommt mich das Bedürfnis, in Polen einzumarschieren! Woody Allen 1 Schon im Sommer 1876, mitten in der Zeit der ersten Festspiele, nahm ich bei mir von Wagner Abschied. Ich vertrage nichts Zweideutiges; seitdem Wagner in…

Archivar des Lebens

Anstelle von Heimat halte ich die Verwandlungen der Welt. Nelly Sachs Lokalhelden ist ein Roman über das Weltgeschehen en miniature, die „Heimat“. A.J. Weigoni blickt neu auf ein verschwundenes Land, die Bonner Republik. Weigoni bleibt auf kritischer Distanz zu ideologischen…

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  im Schlaf trägst du das Meer aus ein tatoo kam aus dem Traum in dem du ein Baum warst dir nach: Zehen schlängeln sich jetzt in die Erde hinab es tränen /Herbstlaub/ deine Augen     *** Baumzyklen, Gedichte…

Farbholzschnitte

  Herbstmond über Miho, ein Farbholzschnitt von Utagawa Kunisada (1786-1865), ist eine echte Augenweide. Abgebildet auf dem Umschlag der Hard Cover-Ausgabe Haiku der Liebe, weckt er ebenso wie der textliche Aufmacher auf der Rückseite des Bandes, rasche Aufmerksamkeit. Haiku und…

Schnittpunkt von Mündlichkeit und Schriftlichkeit

Nachklang des Vokalalphabets Soweit man es nachvollziehen kann, kam das Vokalalphabet  aus der Donaukultur. Nach Süden, brachten es die Phönizier auf ihren Handelsrouten mit. Die Reduktion der Zeichen bei enormer Ausweitung des mit ihnen Ausdrückbaren stellt in ihnen einen Umschlagpunkt…

‡ Zwischenbefund ‡

  die Sprache hat das Sagen : progressive Paralyse anhaltender Satzdurchfall Worte wertloser als abgestempelte Fahrkarten welche wenigstens eindeutige Richtungen bestimmen raschelndes Papier berauschendes Buchstabengestœber nach Wirklichkeit wird weiterhin im Nebel gestochert         *** Dichterloh ist in…

Metaphysik des Schwebens

Bei dieser Aufnahme hört man den Komponisten Tom Täger mit einer einer Musik der befreiten Melodien In hochkonzentrierter Form macht das Monodram Señora Nada etwas, was nur die Literatur kann, aber auch sie nur sehr selten: Es macht Dinge vorstellbar,…

Eine andere Postkarte aus Weimar

  Den 18. Juli 2019 Sir Peter, sei versichert, in Weimar kann ich nicht anders, ich muss an dich denken. Schon deswegen, weil mir am Frauenplan der Geheimrat begegnete und sich nach dir erkundigte: ob du dich endlich ans Wohltemperierte…

Der schönste Winkel des ganzen schönen Rheinlandes

  Ich habe mir just den schönsten Winkel des ganzen schönen Rheinlandes zum Geborenwerden ausgesucht. In Trier, unweit der ‚Poort‘, wie das Römertor im Volksmund heißt, stand meine Wiege; sie schaukelte im Takt der vielen frommen Glocken, die, […] mit…

Schlaf

  Von weitem schon konnte er die Trauerweide sehen. Sie wies ihm den Weg. Gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Gewissheit. Unbeschreiblicher Freude. Wenn er sie sah, wusste er: Es ist geschafft. Gleich kann ich mich hingeben, dem Verlangen zu…

Literatur ist das Komplementäre zur Wirklichkeit

  Wenn Weigoni diese beiden Welten aufeinanderprallen läßt, leuchten sie am hellsten. Die Betrachtung eines Gegensatzes, treibt die poetische Produktivität dieses Romanciers hervor, er erzählt mit dramaturgische Raffinement und erzählerischer Souplesse. Das Genre-Hopping und die Aneignung einer literaturhistorischen Gattung wie…

Die Koliken von Narnia

(Nachtschicht mit Diktatoren) Für kurze Schlüsse ist es schon zu zweit, und es gibt jetzt keinen Nahen Osten mehr, der das hier alles buchstabieren kann. (Den Halbmond – noch schaukelt er mit seinen Nächten unterm tierkundigen Himmel – ließen die…

Werkauswahl in drei Teilen

  Der 1920 in Moskau geborene post-avantgardistische Dichter und Erzähler, mit dessen Texten auch eine Reihe von westlichen Slawistinnen und Slawisten seit den späten siebziger Jahren vertraut waren, gehörte seit den 1950er Jahren der russischen inoffiziellen Literaturszene an. Die dreiteilige…

Hüttenleben im Walde

  Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum…

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  wenn Bilder aufzucken wieder verschwinden prallt Och von den Bäumen ab ach Schacht   das Aug ist ein langschweifiger Stern   bewegen sich als Träumer in langen Herbsttagen sind Himmel nach Regen und lugen vor zu uns    …

Literatur-Betrieb

Die identitäre Befindlichkeitsprosa reduziert Protagonisten auf ihre Zugehörigkeit zu Kohorten, sie versteht Autonomie nicht als Selbstentwicklung und -bestimmung, sondern als Selbstbehauptung. Es handelt sich um eine Denkungsart, welche die kategoriale Abgrenzung als Teil der eigenen Wesensbestimmung stets mitmeint und einschreibt.…

DEUTSCHE TRINKT DEUTSCHES BIER!

  Der Pöbel ist von dem frenetischen Haß gegen das geistige Leben besessen, der die Gewähr für dessen Vernichtung in der Abzählung der Leiber erkannt hat. Wo man’s ihnen irgend verstattet, stellen sie sich in Reih und Glied, ins Trommelfeuer…

Ich traf Pirandello

  Er sprach kein einwandfreies Deutsch, aber gut genug, damals in Bonn, wo er seinen Doktor machte. „Kennen Sie meine Arthurgeschichten?“, fragte ich ihn. „Bedaure, Signore“, sagte er, „wer ist Arthur?“ – „Ein Urenkel Schopenhauers.“ – „Ah“, sagte er, „man…

Räume und Zwischenräume

Wer sich in einer Zeit des forcierten Ausverkaufs künstlerischer Ideen den Luxus erlaubt, ausschliesslich mit authentischem Material zu arbeiten und dabei auf die skulpturale Kraft der Arbeiten vertraut, hat Mut. Das Material: Holz als organische Komponente, Stahl als Stabilisator und…

Kunst kommt vom Kombinieren

Traditionelle Techniken sind der Kompass, mit dem man künsterische Ansprüche sinnfällig durch die neuen Medien navigieren kann, dies lehrt A.J. Weigonis Erfahrung bei spartenübergreifenden Projekten seit Beginn der 1990ger Jahre. Sprache erreicht – je nach Aggregatszustand: geschrieben, gezeichnet, gesprochen, performt…

Wie erfassen? Wie sehen? Wie erkennen?

  Der Trugschluss im Traumschloss … Ordnung scheint das 1/2 Leben zu sein … wer Ordnung hält – ist nur zu faul zum … auf der Fahrt durch die Stadt warnt uns das Autoradio vor dem neuen Verkehrsleitsystem … In…

Fehler machen, leicht gemacht

  Man, das ist ärgerlich, denkt Herr Nipp. Das ist es wirklich. Richtig ärgerlich, aber ganz ehrlich mal, da konntest du doch wirklich nichts dafür, würde ein tröstender Freund jetzt wahrscheinlich sagen, doch der ist gerade beileibe nicht zur Hand.…

Schandgeruch

  Schandgeruch, wenn man den Deckel öffnet. Franz Kafka über das Biertrinken     *** Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover. Weiterführend → Lesenswert auch das…

Polyphone Erzählwerke

  Zum Erscheinen von A.J. Weigonis erstem Roman Abgeschlossenes Sammelgebiet hatte KUNO die Dualität des Erscheinens mit Lutz Seilers “Kruso” thematisiert. Es ist für die Redaktion naheliegend auch den jeweils zweiten Roman in einer Doppelbesprechung vorzustellen. Der Titel von Seilers…

below the line

  was willst du noch dichten / nachdem dein jaw dropper ohren und mundwinkel hatte zucken lassen / bevor der oberkreative deine soziolektisch markierte below the line campaign ablehnte / und slice-of-life sowie die response anzeigen / vom tisch wischte…

Mett

  Vielleicht wollte sich Urte mit Mett interessant machen. Aber immerzu Mett? Mett hier und Mett da und kein Ende. Weiß der Teufel, was Urte sich dabei dachte mit dem Mett. Was konnte Urte mit Mett schon Geistreiches anrichten? Was…

Bonn, Kaiserplatz 29.7.

  Lieber Stefan, vom Balkon über mir winkt Pirandello. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen. War er verreist? Hatte er Sehnsucht nach dem sizilianischen Dialekt? Und nach seiner Verlobten in Agrigent, obwohl er hier in Bonn eine Verlobte…

ein friedlicher tag auf dem land an der grenze

wir lauschten wir schwiegen wir fluteten mit den Wolken Friederike Mayröcker   heute denk ich an dich bensch will dich bald schon wieder sehn   gestern die kart aus mali ∙ ohne neger der tisch : notizen ∙ fetzen ∙…

Redegegenstände formulieren

Wir sind von Haus aus eine geschwätzig plappernde Spezies – kommunikativ vergesellschaftete Subjekte, die ihr Leben nur in Netzwerken erhalten, die von Sprachgeräuschen vibrieren. Jürgen Habermas Eine Rückblende in die Mediengeschichte: Wenn das Hörspiel in den 1920ger Jahren den Transfer…

Unterwegs trifft man viel Fremdes

  Hätte sie in der Mitte der Straße begonnen, hätte sie das Kommende rückwärtig anschreiben können. Sie hätte sich in der Zusicherung bewegt, schreibend das Ende der Straße zu erreichen. Der rückwärts getriebene Anfang hätte von der Mitte her sein…

Vom Pixel aufs Papier

  Das Netz hat unser Denken verändert, und damit auch die Literatur. Dichtung ist für mich immer ein Suchen, Versuchen, Verzweifeln, Irren und Überformen. Mit der Arbeit am Computer ist der Text jedoch weich geworden, man mag nicht mehr aufhören…

Romantik

  Die zwei möglichen Seiten sind einerseits Hausfrauenromantisierung von großen Künstlern und jenen, die dazu  aufgebauscht werden und andererseits kritische Auseinandersetzung. Das Ignorieren sei hier beiseite gestellt.     *** Unerhörte Möglichkeiten,  Edition Das Labor 2012 Von Herrn Nipp waren…

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  der Fluss der Fluss fällt so so zerschwärzt von der Härte der Felsen über mich hingeschüttet Durchsichtigkeit: Wasser, benag mich, komm benag mich nochmal     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2021 Ein Porträt von Sophie Reyer…

Protokoll

  Er fiel mir auf, so gab der Landwirt später auf der Polizeiwache im nahen Rietfeld zu Protokoll, weil er auf einem Damenrad den abschüssigen Feldweg hinabfuhr, der die beiden Maisfelder durchschnitt. Am Ende einer leichten Kehre bog er dann…

Herr Wiese

***   Seit der Textsammlung: Twitterature. The World’s Greatest Books Retold Through Twitter von Alexander Aciman und Emmet Rensin fragt sich KUNO, wer zu den Vorläufern dieser neuen Literaturgattung gehört. Der Limerick gehört in der parodistischen Version von Eva Kurowski…

Bilanzwehmut

Der Vollbesitz der Wahrheit entgeht uns. Jean-Henri Fabre Dieser Vorlass präsentiert eine formale Vielseitigkeit. Er versammelt Kürzestgeschichten, Feuilletons und Essays. Das was diese unterschiedlichen Gattungen und Sujets zusammenhält, ist der Weigonische-Ton, eine Lakonie in einer gewissen Manier, deren beiläufige Komik…

Global denken, Lokal handeln

Die Schrift ist meine Heimat. Heimat, aber gefährlich. Peter Handke Auch die Geschichte legt, so scheint es, legt gelegentlich eine Atempause ein. Was die Geschichtsbücher verschweigen findet sich im Roman Lokalhelden, das Politische ist bei Weigoni nur eine Fliehkraft unter…

Impulsverstærker

  Echolot in den Innenraum reflektierende Schallsignale zeugen Unbehauste in heilloser Lebensungewissheit eine Wesenseinheit ohne Seinssicherheit im Nirgendwo der Sinnsuche   Identitætslosigkeit unter Egomanen Charaktere ohne Eigenschaften jeder Ton eine unterdrueckte Klage verpestete Ewigkeit des zerfallenden Kœrpers Existenz = ein…

Bonn, 17.6. La Fontana

  Pirandello geht mir auf den Geist. Er faselt so schlau daher. Er denkt, er sei Kant & Nietzsche in einer Person … Warum sprach er mich überhaupt an? Er kennt mich doch gar nicht. Braucht er ein Objekt seiner…

Deutschland, Deutschland, liberales

  Deutschland, Deutschland, liberales, von der Etsch bis an den Belt! Seht ihr nicht am preuß’schen Pfahl es, wie es auseinanderfällt? Deutscher Reichstag – Preußenbündler – deutscher Schnaps und bayrisch Bier – Deutschland, Deutschland, liberales – Deutschland, Deutschland – hüte…

Bonn, 16.6. La Fontana

  Lieber Herr Jo, heute Nacht erschien mir Pirandello im Traum. Das Sonnenlicht schimmerte durch die Kastanienblätter, ich nippte an meinem Espresso und hörte über mir die so vertraute Stimme: „Buon giorno, Signore, come stai?“ – „Ahimè, mir geht es…

Bonn, 15.6., Gelateria

  Lieber Herr Jo, der tägliche Dialog mit Pirandello erschöpft mich, seine philosophischen Gedanken, die er mir von seinem Balkon über der Gelateria zuruft, haben mich inzwischen vollkommen ins Gefängnis der Vernunft eingesperrt. Ich leide. Was soll ich tun? Befreien…

Bonn, 14.6., La Fontana

  Lieber Herr Jo, es fehle noch so einiges, schreiben Sie, Denken allein mache noch keine Auferstehung. Handeln soll ich, konsequent handeln. Mein Gott, so ein richtiges Leben macht aber verdammt viel Arbeit. Amortisiert sich das am Ende? Sie wollen…

Bonn, Kaiserplatz, 13.6.

  Lieber Herr Jo, heute kam keine Karte von Ihnen. Was ist passiert? Ich habe Sie doch nicht erschreckt mit meinen Überlegungen? – Halten Sie sich fest: Pirandello stand heute Morgen auf seinem Balkon und strahlte, als er mich sah!…

Bonn, 12.6.

  Lieber Herr Jo, Sie schreiben mir, Sie verurteilen mich zum Leben. Ja, heißt das denn, Sie leben, Pirandello lebt, alle leben – nur ich nicht? Bitte bedenken Sie jetzt auch mal mein Alter. Lohnt es sich für mich überhaupt…

RECORD STORE DAY

Spähen, Jagen, Erlegen! All das ist möglich am RECORD STORE DAY! Die Trophäen nach Hause tragen, das Besondere wertschätzen & das in der schönsten Form wie man Musik wohl konsumieren kann: Vinyl! Viele special edtions warten in den Läden auf…

Bonn, 11.6.

  Lieber Herr Jo, Sie ahnen gar nicht, wie es mich schmerzt, wenn sein Balkon leer bleibt. Seit Tagen sehe ich Pirandello nicht mehr. Er ist vielleicht verreist, vielleicht hat er aber auch den Dialog mit mir beendet. Ich weiß…

Bergauf bergab

  Weder einen Wanderstock, geschweige denn zwei Karbonstäbe, noch die nötige Schlechtwetterausrüstung hat er dabei. Einen Rucksack übrigens auch nicht. Das erschien ihm, als er losging, eigentlich ziemlich überflüssig. Immerhin hat er ordentliches Schuhwerk an. Früher wäre es ihm sicherlich…

Digital Humanities

  Diese kurzen Novellen haben es in sich, hier setzt der Autor Figuren, die sich sperren, die hinterfragen. Statt ernsthaft zu suchen, finden sie, erfinden sich in ihrer inneren Ausgesetztheit neu, um letztlich doch immer wieder an ihren eigenen Bedürfnissen…

Gute Lyrik altert nicht gut, sondern garnicht

Der Vers muß gewisse Gesetze und Möglichkeiten des Atems einholen und sich ihnen verschreiben: des Atems und Atmens dessen, der schreibt, wie auch seines Zuhörens. Charles Olson Der Gedichtband Schmauchspuren von A.J. Weigoni sind ein Exerzitium der Atemgebung. Durch Lautverschiebung…

Bonn, 7.6., am Bücherkarren

  Lieber Herr Jo, ist das Ihr Ernst? Sie attestieren mir, mein Schweigen sei vielsagender als das tiefsinnigste Geschwätz? Das hieße ja, einer faden Tautologie inhaltliche Substanz zuzugestehen. Will ich das? – Wie dem auch sei … Als hätte Pirandello…

Bonn, Café Fürst, 6.6.

  Lieber Herr Jo, ich darf Sie doch so nennen? – Je suis désolé – heute ließ mich Pirandello im Stich, er zeigte sich nicht, und so ging ich in mein geliebtes Café Fürst beim Hauptportal meiner Alma Mater. Nun…

Bonn, Gelateria La Fontana, 5.6. p. m.

  Lieber Herr Jo, Sie werden es kaum glauben, aber es ist so passiert, wie ich es mir dachte: Das Nichts verschluckte sich, und ich war wieder da! „Parbleu!“, rief Pirandello, „da sind Sie ja wieder. Wo waren Sie denn?“…

Bonn, Kaiserplatz, 5.6. a. m.

  Verehrter Herr Jo, ich hob das Espressotässchen, um den letzten Schluck zu nehmen, da sah ich über der Tasse oben auf dem Balkon des Eckhauses über dem Bücherkarren den leibhaftigen Luigi Pirandello, und unsere Augen begegneten sich. Er lächelte.…

Eine Erinnerung an Friederike Mayröcker

Der Tod ist ekelhaft. Er ist ein Eklat, ein Skandalon, eine Frivolität, eine Schmach, eine Verdammung und eine Herabsetzung des menschlichen Lebens. Und der grosse Stachel des Todes ist, dass man nicht weiss, wohin es geht. Friederike Mayröcker   Man…

Nachlass

  „Mit der technischen Auswertung des Nachlasses habe ich längst nichts mehr zu tun; davon lebt jetzt eine Reihe von Agenten, Verlagen, Übersetzern, Einrichtern etc. Kafka würde lachen – oder vielleicht auch bloss traurig lächeln. Ich frage mich oft, wie…

Zombies · Revisited · 1 · 2 · 3

Ich lese A. J. Weigonis im September 2012 erschienenes Prosabuch Cyberspasz, a real virtuality, die novellistische Fortschreibung des Erzählbands Zombies, der mich im Herbst 2010 in Atem hält. Auch wenn Zombies als Gesamtwerk die Nase vorn haben mag: In Cyberspasz,…

Das Kölner Richter-Fenster

  Ein Meister der Grisaille, der formalen Strenge, der Unerbittlichkeit der Grau- und Unschärfe-Relationen. Dagegen das große Südfenster im Querschiff des Kölner Doms – hier sind alle Farben – ohne Weiß und Schwarz und Grau. Der Schöpfungsbegriff verschwindet in der…

Sedimentation

Mäander ist die Bezeichnung einer Flussschlinge in einer Abfolge weiterer Flussschlingen   Mäander, heute Menderes genannt, hieß ursprünglich ein Fluss mit gewundenem Lauf in Kleinasien, zu dem der Flussgott Maiandros gehörte und der nördlich der alten karischen Stadt Milet ins…

Kreide

  Sie schreibt mit Kreide unvollendete Geschichten auf die Gehwege der Stadt. Es sind Geschichten, die noch keiner erlebt hat, weil sie unbedeutend sind, es sind Geschichten, bei denen man nicht weiß, an welcher Stelle etwas geschieht. Als ihr kalt…

ReferenzRäume, eine Retrospektive von Mischa Kuball

Mischa Kuball ist ein Regisseur des Lichts, seine Werke beziehen den Menschen ein, der nicht nur betrachten, sondern handeln darf und soll. Michael Schwarz   In einer Zeit, die im privaten wie im politischen Bereich zunehmend von sogenannten „alternativen Wahrheiten“…

Höflichkeitsform

  Agnes machte Catherine ein aufrichtiges, ehrliches und von Herzen kommendes Kompliment. Als sich schon bald eine Gelegenheit ergab, dass Catherine Agnes ebenfalls ein Kompliment machen konnte, schwieg erstere beharrlich.     *** Blempek ist ein Trick, der sich bewährt,…

Sprachinstallation

Was ist eigentlich Musik? Wo hört Sprache auf und an welchem Punkt fängt die Stille an? Roland Barthes hat geschrieben, daß es keine menschliche Stimme auf der Welt gebe, die nicht Objekt des Begehrens wäre – oder eben des Abscheus.…

Negationismus-Maschinerie

  In dieser Erzählungen erkundete A.J. Weigoni die Grenzbereiche der Wirklichkeit. Das Zombie-Hirn, kann die Vernunft nicht erfassen. Dieser Romancier brachte das Unsägliche zur Sprache und zum Ausdruck und leuchtete die finsteren Ecken im Innenleben der Menschen aus. In diesem…

HASENHÜTTE-SCHIEßBORSTE

  ich fahre mit einer bekannten, die lyrikerin ist, gemeinsam im bus. wir erreichen die haltestelle hasenhütte-schießborste und steigen aus. als der bus wieder abgefahren ist, lesen wir auf einem fast verwitterten schild, daß die nächste haltestelle 54 kilometer entfernt…

pixelliga

  Der Hungertuchpreisträger Thomas Suder arbeitet an Objekten und Bildern. Sein Thema ist die dialektische Beziehung zwischen organischen, also eher rundlichen Formen und Strukturen wie z.B. das menschliche Gehirn, und dem was ebendieses an höchst unorganischen Formen hervorbringt, um in…

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  in dieser alten Sucht der Mutter Wohnhalme suchen zwischen Medikamenten und Panikattacken im Hals Jahre später dich finden: Lichtchen am Rand     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2021 Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In…

Im Dialog

  Seit dem 9. Mai 2021 entspinnt sich ein gedruckter Dialog zwischen Klaus Krumscheid und Désirée Wickler. Die Konversation erweitert sich täglich. Gegenläufig zum schnellen Verschicken von Texten und Bildern sind die per Hand gedruckten Grafiken aufwendig in der Herstellung…

Übungen für Correctless

  Der Gender Der Icher Der Selbster (innerer) Die Gendie Die Ichin Die Selbstin Die Selbstinnen Das Gen das Das Ich es Das Selbst es … Die Duin Der Duer Die Sieer Die Sieerinnen Die Wirinnen Die Wiraußen Die Wirer…

Daseinsberechtigung

  Wer einen gemeinsamen Plot sucht zwischen einer Erzählung aus der Feder des renommierten sizilianischen Schriftstellers Nino Vetri  (Jg. 1964) und Notizen, die aus dem Tagebuch des norwegischen Autors Stig Sæterbakken (1966-2012) stammen, der wird vor ein schwierig zu lösendes…

Café Thalia

  Sir Peter und Ich im Café Thalia. Ich frage mich, sagt Er, was nach dem Tod kommt – wie denkst du darüber? – Die unnützen Fragen sind oft die schwersten, sage Ich. – Du scherzt, sagt Er, ich mein’s…

Zehn nachhallende Jahre

Vorbemerkung: Im Rahmen der Publikation des lyrischen Gesamtwerks des Sprechstellers A.J. Weigoni blickt Karl Feldkamp auf den Mittelteil der Trilogie Letternmusik, Schmauchspuren – eine Todeslitanei, Dichterloh – Kompositum in vier Akten zurück: Der Ton macht bekanntlich die Musik, auch wenn…

troja

  über die gefalteten dächer wirft der krieg girlanden ayhan schläft seit tagen ziehen schillerfalter ins gebirge liegen tarnnetze über karawansereien und in den ebenen flugabwehrraketen ayhan geht im traum nackt zwischen soldaten schläft der halbmond hören schmetterlinge flüsternde stimmen…

Nerven-Bündel (Derrid-a)

  Das Sein ist nicht. Es hat kein eigenes Sein. Das Nichts ist nicht Nicht-Sein. Sondern Nicht-Sein. Die Sprache spricht die Sprache des Seins, das nicht ist, und nicht des Nichts, das nicht ist. Das Sein ist weder an sich…

Heimatverbundenen

„Dem Autor ist eine irrsinnige Karikatur eines heimatlichen Menschenschlags gelungen.“ (Köllefornia) Die Sehnsucht nach der Bonner Republik ist übergegangen in das Heimweh der Erinnerung. In der sterbenden Provinz „Rheinland“ wird nur noch erinnert. Es gibt in der Bonner Republik eine…

Enno Stahl, SANIERUNGSGEBIETE

Roman, diesmal kein warnhinweis Kommt einer daher   eine Kölsche  jung auf Bergfrequenz hat er geklaaft de ganze endemik nach ihrer   faszung die mergelorgel alaaft   Im LUZ fällt die   sarkastik   flück auf die komparserie   zurück…

Der Kober

  Sie müssen schon den Deckel aufs Glas legen, sonst geht’s weiter bis zur Besinnungslosigkeit. Mit dem Köbes darüber zu reden, dass Schluss sei, ist riskant.        *** Was sich seit Heinrich Heines Das Buch Le Grand und…

Jeder Mensch ist ein Künstler*Innen

  An Beuys lässt sich wunderbar zeigen, wie die willentliche Dekonstruktion ästhetischer Konventionen dazu führt, dass die schiere Kunstbehauptung zum eigentlichen Kriterium wird und ins Zentrum aller kunstbegierigen Aufmerksamkeit rückt. Hans-Joachim Müller     *** Wie können Joseph Beuys in…

Divers und divergent • Revisited

Vorbemerkung: Im Rahmen der Publikation des lyrischen Gesamtwerks des Sprechstellers A.J. Weigoni blickt Francisca Ricinski auf den Mittelteil der Trilogie Letternmusik, Schmauchspuren – eine Todeslitanei, Dichterloh – Kompositum in vier Akten zurück: Dichterloh: So heißt der in der Lyrikedition 2000…

Am Hang

  In den Weiden sammeln sich die Krähen, wo der Fluß forteilt und schweigt. Der südliche Bogen der Stadt Zieht an den Kernbergen vorbei, ein gleißendes Grau Im sich mehrenden Novemberdunst. Verlassen, verwaist Liegt der Garten, wo mein Fensterspecht wohnt.…

Ethylen

  Friedrich Schiller konnte angeblich nur mit einem faulen Apfel auf seinem Stehpult schreiben. Durch die Ausdünstung des Ethylens – eine Vorstufe des Trinkalkohols wurde vermutlich sein Denkvermögen angeregt.     *** Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das…

DAS VOKABULAR

    das verheimlichen das verharmlosen   die presseerklärung das wirtschaftspaket   die grenzwertigkeit die erfolgsstrategie   die intensivstationen die belegungsdichte   der wochendurchschnitt die clusterhomogenität   der behandlungsmodus die hohe mortalitätsrate   die überlebenschancen die durchimpfungsrate   gestorben wird…