Kategorie: Allgemein

Regenpause im Kreisverkehr

  Es hatte geregnet, den gesamten Nachmittag über waren immer wieder schwere Wolken herangezogen und hatten sich über der Stadt erleichtert, hatten an Höhe gewonnen, vielleicht nur einige Meter. Sie waren weitergezogen. Weidende Giganten, die das Festland nur manchmal abends…

Die Wahrheit über Sancho Pansa

  Sancho Pansa, der sich übrigens dessen nie gerühmt hat, gelang es im Laufe der Jahre, durch Beistellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden seinen Teufel, dem er später den Namen Don Quixote gab, derart von…

Unsere Begierden wachsen durch die Schwierigkeiten

  Es gibt keinen Grund, der nicht einen ihm entgegenstehenden habe, sagt die weiseste Partei der Philosophen. Neulich sann ich diesem schönen Spruche nach, den einer der Alten für die Verachtung des Lebens anführt: kein Gut kann uns Vergnügen gewähren,…

Zeitgeschichtsilluminierung

Hier ist er also, der große Zeitroman für Marcel-Reich-Ranicki. Wend Kässens, NDR 3, Literatur vor Mitternacht a.j. weigoni hat einen roman mit zeitgeschichtlichem hintergrund geschrieben, der zwischen 1989 und 2014 entstand und dessen handlung im jahr 1989 beginnt und 1990…

Soul-Punk

Eine der wichtigsten deutschen Bands aller Zeiten (Spex) Ein besseres Placebo konnte es nicht geben „Family 5“ waren kein Ersatz für die „Fehlfarben“, aber eine charmante Lokalband aus dem Dorf an der Düssel. Ursprünglich nur als ironischer Verweis auf eine…

das himmelsnetz der sterne fängt die seele auf

  andré schinkel, in eilenburg geboren und in bad düben aufgewachsen, betrachtet in den meist kurzen und teils autobiographischen prosastücken dieses bandes, die zwischen 1993 bis 2022 entstanden, vor allem seine lebensarbeitsundwohnstadt halle an der saale und die kleinstadt seiner…

Vorbilder

  Geht man vom Wortgebilde Individuum aus, besagt dieses, dass das Individuum nicht teilbar ist. Das Anstreben der Teilung ist per definitionem also ein Ding der Unmöglichkeit. Doch Begriffsbildung hin, Philosophie her, die Praxis zeigt uns deutlich, dass wir das…

Die Salzburger Festspiele

I Was bedeutet das: »Salzburger Festspiele«? Musikalisch-dramatische Aufführungen, welche zu Salzburg in einem eigens dafür gebauten Festspielhaus stattfinden werden. Warum sollen solche Festspiele stattfinden? Alljährlich im Sommer, dann und wann aber auch zu andern Zeiten, etwa um Weihnachten, oder sonst…

Das Fest von Hambach

Vorbemerkung der Redaktion: Das Hambacher Fest fand vom 27. Mai bis zum 1. Juni 1832 auf dem Hambacher Schloss und nahe bei Hambach sowie in Neustadt an der Haardt (heute: Neustadt an der Weinstraße) in der damals zum Königreich Bayern…

Inszenierung

  Sie hatten zusammen gesessen und sich die Fotos der letzten Wochen angeschaut, hatten über Objektive und Filter, Blenden und Belichtungszeiten, Komposition und Lichtarrangements gesprochen, dieses hier gelobt und jenes dort getadelt, gar verworfen oder auf das Übelste verdammt. Wie…

Rückprojektion, Perlokution, Intention

1. Als ein vom Arbeitsziel gebotenes Erfordernis werden bisweilen Begriffe, Äußerungen oder Texte rein als Begriffe, Äußerungen oder Texte betrachtet. Ohne internen oder gar externen kontextuellen Bezug, ganz unter lexikalischen, phonetischen, grammatikalisch-syntaktischen, semantischen, zeichentheoretischen oder anderen spezifischen Gesichtspunkten. Solange wir…

brain drain

  In der Dialektik „Mensch-Architektur“ steckt einigermaßen viel Humor. Oder wie sonst sollte man/frau sich erklären, dass Menschen gerade, glatte und oft kalte Formen wie Oberflächen als Behausung errichten, nur um sofort bei Nutzungsbeginn genau diesen Fundamenten kontrapunktierend „Leben“ einzuhauchen.…

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  Kriegsalarm in den Ecken des Körpers längst verinnerlicht was man uns zugewiesen hat und unter fremden Ideen zu eigenen gefaltet sich krümmen hier ist kein Tauchen mehr Kriegsalarm     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Ein…

Fritz Wolff

  Ich schrieb einmal aus der Ferne an den Zeichner: Sie und ihre Frau behalten immer eine Silberquaste meiner blauen Seele in der Hand zurück und darum bin ich nie ganz und gar abwesend aus Berlin, wenn ich längst die…

Befreiung des Wortes aus der babylonischen Gefangenschaft des Buches

Beinahe verschwörerisch rezitiert A.J. Weigoni die Texte dieser Blätter. Frank Michaelis bläst mittendrin ein Saxophon, dessen bewußt blecherne Schwüle leicht eine ganze New Yorker U–Bahn–Station unterhalten könnte. (Mainzer Rhein–Zeitung) In der Landeshauptstadt NRWs der ausgehenden 1970er und frühern 1980er Jahre…

Zum 20. Todestag von Walter Höllerer

Ich versuche mit meinen Gedichten das zu sagen, was sich den Leitartikeln und dem programmatischen Reden entzieht, was aber als harte Realität nicht zu verleugnen ist. Gedichte schreiben ist für mich ein notwendiger Vorgang gegen jede Versimpelung und gegen das…

Versunken in bergende Kontemplation

  verloren in intensiver Gegenwart im Wahn der Weltbemeisterung wird die Dominanz der Sprache durch die Hegemonie der Bilder abgelœst   den Kompetenzen des aufgeklærten Bewusstseins verdanken sich die schrecklichen Nachtgesichte der kalte & unbeirrbare Verstand wurde zum Absolutum ueber…

Einer der geht

Wie er, schmal und gerade, die staubigen Holzstufen des alten Kreuzberger Fabrikgeländes Stockwerk für Stockwerk zu seinem Atelier emporsteigt.    Vorbei, ohne innezuhalten, am abgründigen Käfiggelass des lang schon defekten Aufzugs, Insekten – und Staubfalle, in der Lebensraum sich allmählich…

Kleine Visionen

Der Text, das Buch und die schöne Literatur im 3. Jahrtausend Die Poesie, die sich als Kunst versteht, wird es gegen die Massenliteratur auch im dritten Jahrtausend so schwer haben wie bisher, aber sie wird sich behaupten. Echte Kunst wird…

Versnetze über den Sprachraum legen

Eine zeitgenössische Erinnerung von Theo Breuer Wieder einmal stocherte Axel Kutsch im September 2009 aus dem Bergheimer Tief- ins Sistiger Hochland, was er seit langer Zeit etwa drei- bis fünfmal jährlich tut – Wildschweinen, Nebel, Gewitter, Sturm und weiteren natürlichen…

Golem ∙ Revisited

Ich mag den Gedanken, dass Zombies wie wir sind. Die größten Monster sind doch sowieso unsere Nachbarn, der schlimmste Horror befindet sich immer direkt nebenan. Die Zombies lernen, sie imitieren die Menschen, was wiederum die Frage aufwirft, ob sich die…

Die moderne politische Satire in der Literatur

Humor ist die Verdauung der Satten, Satire der Schrei der Hungrigen. Roda Roda Das ist das Wesen der Satire, aber wie erreicht sie ihre großen Wirkungen, mit welchen Mitteln arbeitet sie? Ich möchte hier einige Ausführungen des Genossen Eduard Fuchs…

Warum ich Schiller liebe

  Wenn der Idealismus Schillers die Herzen der Wähler beseelte – wir hätten heute eine andere, eine bessere Politik! Schillers Humanismus und eine moderne Kapitalismus-Kritik ist genau das, was wir brauchen, um besser und würdiger zu leben als in der…

Im Kokon der Esoterik

Ich wollte ganz nach draußen gehen und einen symbolischen Beginn machen für ein Unternehmen, das Leben der Menschheit zu regenerieren innerhalb des Körpers der menschlichen Gesellschaft, und um eine positive Zukunft in diesem Zusammenhang vorzubereiten. Joseph Beuys Das Eichenlaub ist…

Gezeitengespräch 5

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitnah (im Hier angekommen): Das mit dem Graubrot kannte ich auch. Aber nicht zum nahen Bäcker, der machte nicht so…

Heute vor 90 Jahren

  Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen. Heinrich Heine   Die Bücherverbrennung in Deutschland von März bis Oktober 1933 war eine von der NSDAP, der Hitlerjugend, Körperschaften der SA und…

Über die ästhetische Erziehung des Menschen

  Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet; durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt wieder gegeben. Aus diesem scheint zu folgen, dass es zwischen Materie und Form,…

Einschnitte

  Im Jänner 1961 erschien die Poetikschrift „Mein Gedicht ist mein Messer“ von Hans Magnus Enzensberger als Taschenbuch und markierte eine Zeitenwende in der Poesie der Nachkriegszeit. Für mich eröffnete dieses Buch sogleich eine neue Welt in Bezug auf Empfindung,…

Reife Männerstimmen

  Man kann sich ihrer Faszination nicht entziehen, auch wenn man sie zunächst wahrnehmen, ja erst gewahren muss als ein isoliertes Ereignis. Denn tauchen sie auf, umgibt sie sogleich die Hülle eines ganzen Kosmos’, der reich an unterschiedlichen Assoziationen ist.…

Die Versammlung der Nägel

  »Wir müssen auf jeden Fall eine neue Versammlung einberufen«, sagte der lange Drahtstift zu dem kleinen Blaustift. »Das wäre allerdings höchst notwendig!« erwiderte dieser. »Aber wie eine Proklamation verfassen, da keiner von uns schreiben kann?« »Als ob wir nicht…

Klagruf

  Weh mein schneeweißer Traber Mit den Steinkohlenaugen Der perlendurchflochtenen Mähne Den sehr weichen Nüstern Dem schöngewaltigen Schatten Ging durch! Lief Drei Abende weit war nicht zu bewegen Heimzukehren. Nahm das Heu nicht Wahllos fraß er die Spreu Ich dachte…

Ein leichtes Vibrieren

  „Ich war bei ganz vielen Ärzten schon“, sagte der nette Herr zu Herr Nipp. Seit einiger Zeit habe er immer so ein Kribbeln in der Brust. Erst nur ganz sacht, inzwischen sei es allerdings schon ganz schön heftig. Niemand…

Sichtbarmachung

Lange bevor das Kürzel POC geläufig wurde, war May Ayim eine der Pionierinnen der kritischen Weißseinsforschung in Deutschland. KUNO erinnert an diese Lyrikerin regelmässig am 3. Mai Die Tochter des ghanaischen Medizinstudenten Emmanuel Ayim und der Deutschen Ursula Andler lebte…

Was nützlich ist und was ehrlich

  Kein Mensch ist davon frei, daß er nicht zuweilen Lappereien sagen sollte, das Unglück ist nur, daß die meisten solche gar zierlich geben wollen: Nae iste magno conatu magnas nugas dixerit. Mich trifft das aber nicht, die meinigen entfallen…

Nähere Bestimmung der schönen Nachahmung der Natur

  In dieser Ansicht liegt zugleich die Bestimmung, was schöne (geistige) Nachahmung der Natur sei. Mit einer trockenen Sacherklärung der Schönheit reicht man nicht weit. Die Kantische: »das sei schön, was allgemein ohne Begriff gefalle« legt in das »Gefallen«, das…

Eine spannungsgeladene Novelle mit hoher Symbolkraft

  Der erste Blick auf die Untertitel und die Gestaltungsmittel des Hard-Cover-Bandes hinterlässt gewisse Irritationen: Es sind Tropen als semantische Figuren, die ein ganzes Handlungsgefüge definieren, und Leitlinien, die mit dem als Novelle bezeichneten Text gewisse Hinweise auf den Plot…

Monolog im Leserstrahl 4

  Ich lernte schon immer leicht, Stimmen und Tonfälle, ja, Empfindungen und leise Erschütterungen des Gemüts zu imitieren. Ich kann verschiedene Kindheiten und Krankheiten  nachempfinden. Erinnerte Farben (Hautfarben) triumphieren vor dem sogenannten inneren Auge als Tarn- und als Leuchtfarben zugleich.…

Die demolirte Literatur

  Wien wird jetzt zur Grossstadt demolirt. Mit den alten Häusern fallen die letzten Pfeiler unserer Erinnerungen, und bald wird ein respectloser Spaten auch das ehrwürdige Café Griensteidl dem Boden gleichgemacht haben. Ein hausherrlicher Entschluss, dessen Folgen gar nicht abzusehen…

Plätze und Wege

  Eines ist ihm natürlich klar, der alte Spruch, welcher besagt, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung für den wahren Wanderer gibt, ist vorsichtig zu genießen. Beim morgendlichen Blick aus dem Küchenfenster ins trübe Grau des Tages…

Bohême

  Philistrosität ist die Tendenz zur Verallgemeinerung. Präziser: Philistrosität ist die Tendenz, den eigenen sittlichen Horizont als moralischen Schutzkordon um die Menschheit zu legen. Der Satz erhellt aus der Gegenprobe. Der einwandfreieste Nichtphilister ist der, dessen soziales Verhalten am wenigsten…

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  schmerzt ein Himmel vor Sehnsucht nach Frieden trau dich zu fürchten zu lieben was einfach ist Sonne Sonne Licht       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In…

Selbstporträt

*** Weiterführend → Eine  Würdigung von Jürgen Diehl finden Sie hier. Hören Sie auch die Hommage an Jürgen Diehl auf MetaPhon.

Klarheit und Schärfe des Blicks

1995 erklärte die UNESCO den 23. April zum „Welttag des Buches“, dem weltweiten Feiertag für das Lesen, für Bücher und die Rechte der Autoren. Die UN-Organisation für Kultur und Bildung hat sich dabei von dem katalanischen Brauch inspirieren lassen, zum…

Fritz Huf

  In Frankfurt am Main saßen wir uns gegenüber beim Maler Starke. Nach dem Abendschmaus boxten wir uns. Er trug, seiner holländischen Freundin zuliebe, Sackhosen wie die Fischer im Hafen von Rotterdam, ich meinen Arbeiterkittel. In der Frühe saß ich…

Das weiße Haus

  Man kennt die Romane des Dänen Herman Bang. Sie haben alle etwas Todtrauriges, Hoffnungsloses, Entmutigendes. Man erinnert sich der Menschen, die darin vorkommen, wie man sich vielleicht verlorener und unglücklicher Existenzen erinnert, von denen man als Kind gehört hat.…

Sein ist Zeit, sonst Nichts

  Es gibt keine Eigenschaft, kein separates Etwas, keine Größe, die allem Seienden gemeinsam ist oder in gleicher Weise zukommt. Kein ontologisches Gespenst namens Sein, dass sich neben dem Seienden ausmachen lässt: hier Seiendes, dort Sein. Es existiert nur eines:…

Raumgreifende Spracherkundung

Wer gelernt hat, den Zeichen zu misstrauen, dem bleiben zwei Optionen. Entweder legt man es darauf an, unter dem Schein der Oberfläche die eigentlichen ökonomischen, politischen oder sexuellen Triebkräfte zu enthüllen, oder man versucht, in der Wirklichkeit einem letztlich undurchdringlichen,…

Das Verdikt

  Einen Entschlussstrich ziehen. N@sty B. sieht sich nur kurz um. Wischt sich den Tabakfaden von der Zunge. Schnippt die Löte in den Ascheneimer. Trifft. Lässt die Tür sacht in das Schloss klacken. »Man muss sich gelegentlich daran erinnern, wer…

Ein unbequemer Denker

In der von den Massenmedien formatierten Öffentlichkeit ist Kritik durch Moralisierung ersetzt worden: Zwischen den Polen Lob und Tadel wird das Nachdenken eingespart, in Feuilletons und Talkshows wird längst nicht mehr diskutiert, sondern nur noch emotionalisiert. Norbert Bolz Für die…

Dirty Speech Revisited

Gelber schmutziger Himmel. Gelbschmutziger Himmel. Ein gelbschmutziger Himmel. Ein gelbschmutziger Himmel über mir. … Ein verdammter Scheißdreck von Himmel. Ein mieser gelber schmutziger Kölner verfluchter elender Kackhimmel. Ein von Lichtfetzen verkackter Himmel. Ein mieses Stück von Himmel. Ein Kackhimmel. Ein…

RSD

Der Record Store Day (kurz: RSD) ist der internationale Tag unabhängiger Plattenläden und findet am dritten Samstag im April des jeweiligen Jahres statt. Wer im digitalen Zeitalter nach 1991 geboren wurde, und in den Genuß des sterephonen Höhepunkts kam, wird…

Monolog im Leserstrahl 3

  Der winterlich kalte  Septemberwind blättert die Empfindlichkeit der Umgebung auf und legt Spuren, die er schon bald wieder verwischen wird. Er, der Mitwisser,  küßt flüchtig  verführerische Passagen der Gegend mit Schneeflocken; danach wird niemals mehr irgendetwas nachvollziehbar sein. Die…

Ein literarischer Geniestreich ?!

„Mit sprachlicher Bravour sperrt Hana Lehečková ihre Leserinnen und Leser in den Kopf eines geistig beeinträchtigten jungen Mannes ein.“   Der Auszug aus dem  Werbetext auf der Rückseite des Hardcover Bandes mit dem seltsam anmutenden Titel erregt insofern besondere Aufmerksamkeit…

Wir sind Nobodaddy’s Kinder

Lassen Se man: ich eigne mich schlecht als literarisches Mannequin. Arno Schmidt, 1953 auf Martin Walsers Einladung zur Gruppe 47 Manchmal atmen Literaturkritik und Literaturwissenschaft auf, wenn ein Autor nach seinem Tod nach und nach in Vergessenheit gerät. Etwas komplizierter…

ABSCHIED VON PETER ALTENBERG

  Mein lieber Peter, nun bist du tot, und man hat mich gebeten, etwas über dich zu schreiben. Man erwartet wohl etwas feierliches, große und klangvolle worte, wie sie eben ein freund finden wird angesichts des todes, angesichts … Aber…

Gezeitengespräch 4

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitfern:   Die Eiszeit kommt. Wir denken an Urlaub vermehrt. Weil dort die Sonne lacht. Keine Blässhühner. Aber Strand,…

Ästhetik des Andersseins

„Günther Emigs Literaturbetrieb verhält sich zu Andy Warhols Factory wie eine postmoderne Melkmaschine zur Milch der frommen Denkungsart.“ (Quelle: Selbsteinschätzung auf der Webseite des Autors) Wir beginnen mit einer Rückblende in die alte BRD. Zu Beginn der 1970ger Jahre erlebt…

Zum Dazwischen als generative Grauzone im Schreiben Herta Müllers

„I see the shaded part on one side where the sleepers are sleeping, […]”[1] Das „Vor-Augen-Führen“[2] (Aristoteles, Rhetorik. 1410b) – damit nähern wir uns dem Aristotelischen Metaphernverständnis als Kraft des Sehens; die Sehkraft ist bereits eine Metapher[3] dafür, wie wir…

Monolog im Leserstrahl 2

  Kurz darauf das Rasseln vieler Schlüssel. Hartborstige Straßenbesen kehren Berge von Unrat zusammen. Der Scheinwerfer erlischt, rote Notbeleuchtung schmückt die Ausgänge. Erst jetzt hört man abgehackte Befehle. Viele starke Taschenlampen werden eingeschaltet und tasten mit ihrem Strahl die Decke…

Der Flözgänger

Solche Bücher sind nicht für einen Nachmittag oder für eine Bahnfahrt, sondern für ein ganzes Leben. Joachim Zelter Ulrich Bergmanns vielgestaltiges Werk reicht von Begegnungen, intensiven Alltagsbeobachtungen, glossierenden Zeitgeistbetrachtungen über die Wiederbelebung historischer Figuren bis zum weltläufigen Erzählen. Dieser Autor…

Essays von on the road

  Was er nicht ertragen kann, kann er nicht kapieren.       *** Fast dumm, „Essays von on the road“ von Ann Cotten, starfruit publications, 2017 FAST DUMM ist ein vielschichtiges Reise- und Reflexionsbuch, ein lose organisierter Verbund aus…

Irgendwas mit Murmeltieren

  Der Tag hat ihn wieder einmal mit seiner unglaublichen Kürze überrascht, tatsächlich ging die Sonne irgendwann wohl auch auf, hat sich über der Horizontlinie gezeigt und ist ebenso irgendwann dann einfach heimlich verschwunden. Wahrscheinlich hat der Himmel auch für…

Stufen

  Es war einem Berufenern überlassen worden, das herrliche Buch aus dem Nachlaß Christian Morgensterns: ›Stufen‹ (bei R. Piper & Cie. in München) eingehender und tiefer zu würdigen, als ich imstande gewesen wäre. Ich möchte nur eines dazu sagen. Es…

Zur Kenntlichkeit entstellt

Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir! / Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? Wir! / Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, / wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? Wir! Wir! Wir! Freddy Quinn…

Wie die Galgenlieder entstanden

 Im ächten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Nietzsche. Es waren einmal acht lustige Könige; die lebten. Sie hießen aber so und so. Wer heißt überhaupt? Man nennt ihn. Eines Tages aber sprachen die lustigen Könige zueinander, wie…

Aus dem Hinterland

Eine Würdigung des Literaturvermittlers Theo Breuer Theo Breuer weiß, daß die Verwendung vertrauter Vorlagen keineswegs das Gelingen sichert. Er hat die Lyrik nie mit dem bloß Schönen verwechselt. Das Ästhetische hängt in den von ihm gemachten Versen eng mit dem…

Gebrauch des Wunderbaren

  Alles wahre Wunderbare ist für sich poetisch. Aber an den verschiedenen Mitteln, diesen Mondschein in ein Kunstgebäude fallen zu lassen, zeigen sich die beiden falschen Prinzipien der Poesie und das wahre am deutlichsten. Das erste oder materielle Mittel ist,…

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Ha! du wärst Obrigkeit von Gott? Gott spendet Segen aus; Du raubst, du schindest, kerkerst ein, Du nicht von Gott, Tyrann! Ich sage euch: sein und seiner Mitfürsten Maß ist voll. Gott, der Deutschland um seiner Sünden willen geschlagen hat…

Der Untertan

Aber es wäre unnütz, euch zu raten. Die Geschlechter müssen vorübergehen, der Typus, den ihr darstellt, muß sich abnutzen: dieser widerwärtig interessante Typus des imperialistischen Untertanen, des Chauvinisten ohne Mitverantwortung, des in der Masse verschwindenden Machtanbeters, des Autoritätsgläubigen wider besseres…

delectare et prodesse

Vorbemerkung der Redaktion: Für das Projekt Kollegengespräche hat A.J. Weigoni einen Austausch zwischen Schriftstellern angeregt. Auf KUNO ist diese Reihe wieder aufgelebt. BENKEL welche symbiosen zwischen leben und kunst erlebst du bei deinen kulturreisen sowie besuchen von theatern, opernhäusern, museen…

Die Christenheit oder Europa

  Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. – Ohne große weltliche Besitzthümer lenkte und vereinigte…

Wochenmarkt – die drei Kundinnen

  Samstags kann man Herrn Nipp normalerweise früh schon auf dem Kleinstadtmarkt finden. Die Bauern der Umgebung bieten dort ihre eigenen Produkte an, aufgepeppt mit Zukäufen aus aller Herren Länder. Auch Fleischwaren, Fisch und Käse sind dort erhältlich. Ein meist…

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  und das Flüsterwasser: es wandern Flüsse in dir     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das…

HASENROULADE

  ich bekomme im restaurant eine hasenroulade serviert. die kellnerin zieht die fäden heraus, die das fleisch zusammenhalten. und aus der roulade pellt sich ein embryo hervor, bereits vollständig ausgebildet, aber offenbar durch einen schnitt amputiert, das heißt ohne füße,…

langsamer lesen, schneller verstehen

Vorbemerkung der Redaktion: Zum Welttag der Poesie wurde der 21. März von der UNESCO ausgerufen. Dieser Tag wird seit 2000 jedes Jahr gefeiert, er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern.“ Weiterhin soll…

Reflexion

  Es gibt Grade der Begeisterung. Von der Lustigkeit an, die wohl der unterste ist, bis zur Begeisterung des Feldherrn, der mitten in der Schlacht unter Besonnenheit den Genius mächtig erhält, gibt es eine unendliche Stufenleiter. Auf dieser auf- und…

Poetische Materialisten

Aber ist es denn einerlei, die oder der Natur nachzuahmen, und ist Wiederholen Nachahmen? Eigentlich hat der Grundsatz, die Natur treu zu kopieren, kaum einen Sinn. Da es nämlich unmöglich ist, ihre Individualität durch irgendein Nachbild zu erschöpfen; da folglich…

Der erste moderne Roman

Auch heute noch, nachdem er sich 200 Jahre in der Lesewelt befindet, gilt von Laurence Sternes ‚The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman‘ das Urteil, daß es zu den 10 größten Büchern gehöre, die bisher in englischer Sprache geschrieben…

Kunst und die Infrastruktur geteilter Intentionalität_2.Teil

Differenzierung   2.1 In dem Augenblick, in dem das Kind die Infrastruktur geteilter Intentionalität ausbildet, wird es zum Handlungssubjekt, zum aktiv mitgestaltenden Teil seiner Lebenswelt. Ab dem zweiten Lebensjahr treten die Kinder zunehmend in die Phase des Erwerbs der gesprochenen…

Sackgasse

  N@sty B. hat das Stigma der Verräterin einer Aufrichtigkeitsbewegung. Revolte nach aussen ist für sie notwendig, um den inneren Frieden zu gewinnen. Als Exzentrikerin gehört sie zu den Menschen, die sich nicht entscheiden wollen, ob sie lieber eine Revolution…

Deutsch – eine Liebeserklärung

  Muttersprache, das Wort stammt wahrscheinlich, so sagen uns die Herkunftswörterbücher, aus dem Latein des Hochmittelalters, Lingua materna. Aber wie nahe uns die Sprache geht, wie nah sie bei unserem Gefühl ist, als Ausdrucksmittel und als Gegen-Stand, demgegenüber man Empfindungen…

Die Zukunft: Trans (BioMachtTransgender)

Vorbemerkung der Redaktion: Seit 1989 hat sich KUNO als Brückenbauer zwischen den Milieus verstanden. Was aber, wenn immer mehr Menschen in den Kategorien von „Gender“ und „Repräsentation“ denken, und „Diversity“ als einziges Narrativ im Kultur-Betrieb durchsetzen wollen? Bei der Kim…

Fragen zur kulturellen Aneignung

  Zur Zeit ist viel von ‚kultureller Aneignung‘ die Rede. In Bern zum Beispiel. Da wurde eine Band junger Schweizer Mundartmusiker zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit ausgeladen, weil sie als Weiße jamaikanische Reggae-Musik spielten und einige Mitglieder der Band…

Gezeitengespräch 3

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitnah (hier): Die Löcher sehen lernen. Wenn man das als Sinn der Betrachtung findet, kommt man der Kunst schon…

Zwischen Transzendenz und Körperlichkeit

Strategien seiner Darstellung / seine Offspacetheorie / subkultureller Ausschließungsmechanismus / er hat sich aus dem Kontext katapultiert   Der Ullrich spinnt doch sowieso, sagte mal einer, der macht sich sein Leben unnötig schwer. Wenig später sagte jemand Ähnliches; und ferner…

Peter Hille

  »Es dauert höchstens zwanzig Minuten, Peter!« Er nickte lächelnd – aber er vergaß auch sofort wieder, daß er den Kopf nicht hin- und zurückbiegen durfte, von der Zeitung auf und nieder, und so kam’s, daß ich entweder das rechte…

Das Dornröschen

  Wir leben im Zeitalter des Socialismus, der Frauenbewegung, des Verkehrs, des Individualismus. Gehen wir nicht dem Zeitalter der Jugend entgegen? Jedenfalls leben wir in einer Zeit, wo man keine Zeitschrift aufschlagen kann, ohne daß einem das Wort „Schule“ in…