Kategorie: Allgemein

Europa. Ein Fragment

Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. – Ohne große weltliche Besitzthümer lenkte und vereinigte Ein…

Lauschepper

Zum Tag der Arbeit plädiert Herr Nipp für eine gerechte Honorierung der geistigen Arbeit. Es kann nicht gerade als sonderlich erquicklich bezeichnet werden, wenn man als Künstler oder sonstiger Kulturschaffender zu einem halbherzig vorbereiteten Vortrag über bestimmte Vermarktungsmöglichkeiten im jeweiligen…

Wild Horses Could Not Drag Me Away

Der Literaturbetrieb gleicht einem Adler, der mit gebrochenen Füßen in die Lüfte steigt, die ihm jedwede Landung verwehren. Heutzutage scheint Literatur der Inbegriff des Fragmentarismus, der unsere Zeit ansteckt, dadurch charakterisiert und die typisch fin-de-siècle-belastete Verwirrung und Fassungslosigkeit der Methoden…

An Arno Holz

Ferdinand Avenarius schreibt in seinem Blatt: Ich bitte diejenigen unsrer Leser, die Arno Holz nützen, und die Arno Holz für uns nutzbar halten wollen, an den Kunstwart-Verlag (München, Georg D. W. Callwey, Finkenstr. 2) eine freundlich bemessene Spende mit der…

Apokalypse (Offener Brief an das Publikum)

»Den Überwinder will ich genießen lassen von dem Lebensholze, das in meines Gottes Paradiese steht.«   Am 1. April 1909 wird aller menschlichen Voraussicht nach die ›Fackel‹ ihr Erscheinen einstellen. Den Weltuntergang aber datiere ich von der Eröffnung der Luftschiffahrt.…

Der Fächerbaum

    In meinem Herzen steht ein Fächerbaum, – In deinem auch, aus Zufall kaum; So sind wir immerfort, in allen Stunden Durch’s Fächerherzbaumnetz verbunden.         Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel. Poesie ist…

post . WERT : [zeichen I ]

Adolf Tuma   post . WERT :  [zeichen] „Miniaturmalerei“  –  Tusche & Acryl auf Papier, 4,2 x 3,4 cm, 2009 „…Es gibt Bilder für jede Börse; von Briefmarken zu 1 DM (ca 0,50 Euro, Anm.), die wahre Meisterwerke der Stechkunst sind…

Die Sprache trägt das Leben

  Die Sprache transportiert dich durch alle deine Zeiten, die noch kommen. Ihr Material sind Laute und Zeichen, zusammengefunden in einem vereinbarten Schein der Bedeutungen. Rätselnd schiebt dich die Sprache durchs Leben, und sie schickt dich vor, für sie alle…

Der Randgänger der Poesie

Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Licht beschaut sein; … dies hat einmal gefallen, doch…

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  die Sprache zerfällt in ihre Einzelteile nichts lässt sich mehr greifen fliegende Rochen in den Träumen lieben uns zu dir hin       *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Geschichten aus Tausendundeinem Reich

  Schahrasad stand ein jämmerliches Ende bevor. Ihr Herr, König Schahriyar, sah sich von allen Frauen schändlich hintergangen, belogen und betrogen. Hinter dem Rücken ihrer Gebieter spannen sie ihre lustvollen Fäden und teilten heimlich das Bett mit ihren Geliebten, um…

Für Rajzel Zychlinski

  Doch  Madame die mäntel sind ihren menschen entrissen ihre ärmel stehn leer In den schlafenden klappen der wohlfahrtscontainer nisten spinnen suchen in gefalteten steppen nach beute   *** Zeitgefährten von HEL, wiederveröffentlicht auf KUNO 2017 Die Zeitgefährten sind zwischen 1977…

Untergrund-West

  Nach spektakulärem Hype und raschem Verglühen der 1990er-Jahre-Popliteratur in Deutschland hat sich die Kulturwissenschaft dieses Phänomens überraschend schnell bemächtigt. Seriöse und auch weniger seriöse Betrachtungen haben versucht, Popliteratur als Genre zu verstehen, bzw. diesen Begriff überhaupt erst einmal zu…

Lucidor

  Frau von Murska bewohnte zu Ende der siebziger Jahre in einem Hotel der inneren Stadt ein kleines Appartement. Sie führte einen nicht sehr bekannten, aber auch nicht ganz obskuren Adelsnamen; aus ihren Angaben war zu entnehmen, daß ein Familiengut…

L’ autre monde oder: Von der Unmöglichkeit

1 Es gibt Jahre, in denen man sich das Herz rausschneidet und umständlich ein neues einsetzt. Mechanische Arbeit, Draht­geflecht, Blut und Gips überall. Oft genug, ist zu befürchten, wird dabei das Sonnen­­geflecht, das mentale Herz des Körpers, verletzt, in Mit­­leiden­­schaft…

Ein Sonnenstrahl im Morgengrau

Ein Sonnenstrahl im Morgengrau. Die Wege des Gehirns kreuzen sich. Die Kraft des Denkens überspannt. Regiert uns Konstruktivismus? Die Kreuzwege des Intellektualismus Verkörpern Kunst und Mensch. Zum Mond wollen wir fliegen. Ein Sonnenstrahl im Morgengrau. *** KUNO empfiehlt die Dichtungsring-Sondernummer…

Mail Art oder die Kunst der Korrespondenz

„Days without mail art dull days“ heißt mein melancholisch-ironisches, von Ruud Janssen inspiriertes Mail-Art-Motto. Wie die anderen heißen? Ray Johnson, der 1962 mit der Gründung der New York Correspondance School die Bewegung der internationalen Mail Art ins Leben rief, ist…

Rudolf Blümner

  Den Mephisto spielt er jeden Abend, eine Privatvorstellung im Freundeskreis. Ohne witzelnde Fußspitzenpose – der Doktor hat Humor, der im Kranichschritt mit dem Schwermutflügel einherschreitet. Wenn er nicht kommt, sind wir alle belämmert; die gretchenblondesten Mädchenköpfe freuen sich, wenn…

Kunstform Schauerroman

Nach Adornos Urteil bestand zwischen Walter Benjamin und Karl Kraus eine Wahlverwandtschaft, nämlich die, „profane Texte so zu betrachten, als wären es heilige“. War Benjamin ein Vordenker des Trash? Mit der Schrift Gartes hat eine Gattung, die nach der positivistischen…

Jemandate

Jemand, der etwas Außerordentliches lebt. Dessen Sprechen ausgespart bleibt. Die Dinge, die er streift, berührt, bewegt, erzählen, was mit ihm geschieht. Eine Abfolge von deutlich dekodiertbaren Geräuschen, das wollen wir nicht. Jemand spricht. Nicht der Protagonist. Er spricht von den…

Meine Musik

  Ich lebte nach dem Zweiten Weltkrieg mit meinen Großeltern und meiner Mutter (mein Vater kehrte erst 1954 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück) in zwei großen, miteinander verbundenen Wohnungen in Halle an der Saale. Ich hörte bei meiner Mutter den Larifari-Rundfunk,…

Schätze heben

Redaktionelle Vorbemerkung: Bericht über ein Kunst-am-Bau-Projekt in einem Körperbehindertenzentrum. Die Darstellung hat in zweifacher Hinsicht etwas mit Raum zu tun. Einmal im wörtlich konkreten Sinne: Ausgestalten, Schmücken, Gebrauchsfähigmachen von architektonischen Räumen. Zum anderen geht es um Raumschaffen im erweiterten Wortsinn,…

Betrachtungsfeld

  Was der Mensch täglich mit seinen Füßen tritt, besser betritt, und nutzt, fällt gerade wegen dieses tagtäglichen Nutzens nicht weiter auf. Wer achtet schon auf die Bürgersteige und asphaltierten Straßen, die Häusermauern und Baumrinden? Wer bemerkt, dass so viele…

Planzen 1. Herzenstränen (Dicentra spectabilis)

  Brennende Liebe, flammendes Herz. Rosa Wangen hat sie, mein China-Girl: verlegen flüchtig angehaucht — von einem Erdrauch, von einem Wort, einem Satz zuviel — sie ist nah am Wasser gebaut: die Tränen sind sichtbar schon: haften lose an weisslichen…

Sauerland

  *** Weiterführend → Eine  Würdigung von Jürgen Diehl finden Sie hier. Hören Sie auch die Hommage an Jürgen Diehl auf MetaPhon.

Wiener Episode

  Wien ist eine herrliche Stadt; Wien ist eine Stadt, in der ich es nicht lange aushielte. Vielleicht hat sich in den zweiundzwanzig Jahren, seit ich Wien sah, genoß, erlebte, an Wien mitwirkte, mancherlei geändert; im Jahre 1906 hatte ich…

GELBGEFLÜGELT

nähr ich mich im flug an blüten beflecke ich das haarkleid meiner lust  glüht der rumpf bebt die haut zittern die fühler  grab ich am abgrund unter disteln bau ich  im grellen licht ein nest für die brut  trag ich…

Gedenktafeleinweihung

  Die Gedenktafeleinweihung am 24. März 2003 auf dem Hof Hohenbuchen an der Poppenbütteler Hauptstraße 46 in Hamburg fand unter Anwesenheit des polnischen Generalkonsuls Andrzej Kremer, Frau Lüdemann und ihren Familienangehörigen wie auch der Angehörigen des am 13. März 1942…

Politische Gedanken

  Wir leben in einer extrem oberflächlich gewordenen Gesellschaft, in der viele nur darauf bedacht sind, die richtigen Moden für sich zu finden: Im Konsumieren von ‚Musik’, in der Kleidung, in der Darstellung der eigenen Rolle ohne nennenswerte Persönlichkeit, in…

Lyrik DuMont

  Neben mir liegt ein Stapel Bücher – gelesen und gesammelt seit 1998 – mit außergewöhnlicher Ausstrahlung. Es sind Bücher, die bereits durch ihre ausgesuchte Aufmachung – mit weißem, blauem, rotem, gelbem und grünem Leineneinband, Lesebändchen, im Schuber – erstklassige…

Fingerspitzengefühl

  Wenn die Kälte draußen so weit unter Null gefallen ist, dass in schlecht isolierten Dachgeschosswohnungen sogar die Wasserleitungen zufrieren, dann kann von Winter gesprochen werden. Vorher nicht. Dies hatte Herr Nipp für sich und die gesamte Menschheit beschlossen und…

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Frühjahr du Würger wütest unter uns dass wir glücklich sein sollen alle fortgehn im Schönen wenn so hell der Tag weiter Weg im Abendregen hängen *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Bangen, vereitelt

  So hat es angefangen: Die filigrane Gewalt gescheitelt, verschämt, bevor sie verrohte.   Später cyclames Verlangen Ich hab mich beeilt, als man mir drohte.   Nichts ist mit mir (durchgegangen). Ich hab mich geteilt (in Halt! und Bald. und…

4. Welttag der Poesie

  Am 21. März wird jedes Jahr der Welttag der Poesie gefeiert. Er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern“. Die KUNO-Redaktion empfiehlt an diesem Tag daher Preziosen aus dem Bereich Hörbuch. Das…

Der Sommer

  Wenn dann vorbei des Frühlings Blüte schwindet, So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet. Und wie der Bach das Tal hinuntergleitet, So ist der Berge Pracht darum verbreitet. Daß sich das Feld mit Pracht am…

Hast du auch nicht vergessen, die Uhr aufzuziehen

  Ich wollte, mein Vater oder meine Mutter, oder vielmehr beide (denn es war doch beider gemeinsame Pflicht) hätten ein wenig bedacht, was sie thaten, als sie mich in die Welt setzten. Hätten sie ernstlich erwogen, wie viel von dem,…

Sakrileg?

Ein paar Gedanken zu Dan Brown, Sakrileg Ein amüsantes, ein sympathisches Buch! Es trägt mit ernster Miene satirische Züge, hat viel Witz und scherzt – etwa wenn Jean Cocteau als Großmeister der Prieuré de Sion bezeichnet wird oder wenn auf…

The Breuer, Essayist

  Michael Gratz, ein Gönner der Verschreibkunst, kündigte den Lyriker Theo Breuer in der Lyrikzeitung in seiner Funktion als Essayist als THE Breuer an. Wir sind froh, daß dieser Kenner der deutschsprachigen Literatur bei kulturnotizen den ein oder anderen Essay…

Hans Heinrich von Twardowsky

(Seinem treuen Freund Moritz Seeler) Hans Heinrich, der liebenswürdige Parodiendichter und Schauspieler, trug vor einigen Tagen zum wiederholten Male dem entzückten Publikum seine Verse vor; nun schenkt er sie in einem Buch aufbewahrt allen denen, die Freude an seinen Gedichten…

Gerüst

  Die blonde Mutter hat schön gerollte Haare in weiblich anmutender Länge. Sie trägt schöne weiche Sachen, helle, pastellfarbene, fließende. Der Vater kaufte der Mutter immer teure Sachen. Kleider machen Leute, sagten die Eltern immer. Kleider sind ein Gerüst für…

Karl Marx

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern. 11. These Marx’ über Feuerbach. Vor zwanzig Jahren hat Marx seinen gewaltigen Kopf zur Ruhe gelegt, und trotzdem wir erst vor wenigen Jahren erlebt…

Die Futuristen

  Was dem Hundezüchter die schwarzen Lefzen und andere Merkmale der reinen Rasse seiner Hunde sind, das ist für den modernen Bilderkenner der Begriff der »peinture«. Wer sich nicht näher auskennt, sieht in das Züchterbuch. Die »peinture« ist bei Bildern,…

Etwas von dieser Welt

  kinder im keller kinder im gefängnis kinder in schubhaft kinder auf den straßen kinder in fabriken kinder an webstühlen kinder am bau kinder in krankenhäusern kinder in waisenhäusern kinder in zeltlagern kinder in der wüste kinder im urwald kinder…

Man muß seinen Willen beschränken

  Im Vergleich mit gewöhnlichen Menschen rühren mich wenige Dinge, oder um besser zu sagen, fesseln mich wenige. Denn es ist ganz recht, sich von ihnen rühren zu lassen, wenn sie uns nur nicht besitzen. Ich tue mein möglichstes, dieses…

Space-Operette

There is no dark side in the moon, really; as a matter of fact it’s all dark. Gerry Driscoll Heute vor 30 Jahren (in Worten: dreißig!) erschien Pink Floyds The Dark Side of the Moon. Da ich nicht zu den…

Auch du bist Chandos

  Rainer Maria Gassen zugedacht alpha   Dein Klaglied klingt so wahr, es deutet scharf die Krise, die du Liebender im Traum erlittst, der dich so furchtbar stammeln lässt und sprachlos macht wie nie zuvor;   ein Traum als Elegie…

Das Versuchswildsein

  Erst die Milch, dann das mütterliche Haar. Dann das Brot, später das Brotbild, davon noch einmal das vereiste Bild von Brot.   1. geprüft, dann angesperrt, später ins feingeflochten Verkochte, ans Brot, wie sich Brot noch binden läßt, gehetzt.…

Sebald • Revisited

Eine der in der Salle des pas perdus wartenden Personen war Austerlitz, ein damals, im siebenundsechziger Jahr, beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewelltem Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs…

Baden

  Jäh wachte er auf, frierend wie meist dann. Er hatte sich gegen acht, nein es musste halb neun gewesen sein, denn die Kinder waren unter deren Protest erst nach den Nachrichten zu Bett gebracht worden, wohl wissend, dass sie…

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Streut sich aus dieses Rauschen auf Hoffnung Mond errötet vor lauter Mohn Abend ist´s *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen…

Das Psychologietheater

  Es ist evident, daß alle Psychologie ein Sicheinfühlen in die fremde Existenz, ins Objekt, in den Gegenstand voraussetzt. Um etwas »Psychologisches«, etwas über die Seele einer Sache, eines Menschen, eines Unternehmens aussagen zu können, bedarf es einer Fähigkeit des…

Mein Bruder Fridolin

Fridolin Wiplinger besuchte wenige Monate vor seinem Tod Heidegger und begann das Gespräch mit den Worten: »Was mich seit einiger Zeit umtreibt, ist der Anfang Ihres ›Briefes über den Humanismus‹ aus dem Jahre 1946.« Nach Heideggers Verweis auf »die Theoria…

Kommunismus, Philosophie und Klerisei

Hätte ich zur Zeit des Kaisers Nero in Rom privatisiert und etwa für die Oberpostamtszeitung von Böotien oder für die unoffizielle Staatszeitung von Abdera die Korrespondenz besorgt, so würden meine Kollegen nicht selten darüber gescherzt haben, daß ich z.B. von…

Die Arbeit als Leidenschaft, die fortgesetzte Partitur als Leben

Die Welt ist zweifellos das grösste Erlebnis, aber zum Grossteil erschöpft sie sich doch in einer entsetzlichen Anstrengung. Die Welt ist mehr und mehr ein enger Kerker, in welchem jener Untersuchungshäftling, der man ist, doch lebenslänglich die schlechtest denkbare Luft…

Die Eisenbahn

  Oben auf dem Oller, wie die Wuppertaler die Bodenkammern zu nennen pflegen, befand sich das Laboratorium meines jüngsten Bruders, »das Giftzimmer«, darin Flaschen mit verschiedenartigen Salzen und Säuren und allerlei Chemikalien seltsamsten Farbeninhalts standen. Namentlich die grünspangelben Schwefelwürfel wirkten…

Über den kritischen Lakonismus

Rezensenten sind literarische Polizeibeamte. Novalis Es gereicht Rezensenten, sie mögen nun Bücher, Menschen oder Verhältnisse beurteilen, zum größten Ruhme, wenn sie wie die Spartaner leben, nur Kupfergeld besitzen und schwarze Suppen essen; denn wer Vertrauen braucht, erhält es nur, wenn…

Hamburg

  Wie ein großer, eben gefangener, noch zuckender Fisch liegt Hamburg an der Nordsee. Ewige Nebel lagern auf den zugespitzten schuppigen Dächern seiner Häuser. Kein Tag hält seinem blassen, windigen, launischen Morgen die Treue. Mit Flut und Ebbe wechseln dumpf…

Schriftstellerbegegnungen

  Der jüngste Dichter, dem ich in meinem Leben begegnet bin, war Gert Jonke; damals gerade 16 Jahre alt. Das war im „Café Ingeborg“ in Klagenfurt in den frühen Sechzigerjahren. Jonke war ein schmächtiges Bürschchen, sehr schweigsam, sehr freundlich, sanftmütig.…

Aus Herrn Antrobus‘ Tagebuch

  Wir sind einen Kalendertag weitergekommen. Es gab keine Gasexplosion. Genügend Unglück stand in der Zeitung. Wir blieben verschont.   Unsere internen Katastrophen verursachen kein Geräusch. Wir werden nicht auffällig. Wie es aussieht, wird hier kurzfristig keiner zur Axt greifen.…

Eine Erinnerung an das Trauerspiel „Der Turm“

  Mit seinem neuen Trauerspiel »Der Turm« greift Hofmannsthal auf die Gestaltenfülle des Barock zurück. Als der geheimnisreichsten einer aus der Menge tritt Calderons Prinz Sigismund in ein neues Leben. Dem Drama liegt ein Stoff im eminenten Sinne, der des…

Was am »Grundriß« fehlt

Das Elementarische und Intime sagt von sich nicht selber aus. Mithin bleibt das Wesentliche als solches ungesagt. Verschweigt sich aber so sein Positives, dann kann es noch zum Bekenntnis werden vom Negativen her: an seinen Fehlern und Mängeln kann es…

Was uns verbindet ist das Papier

Die expressive Farbigkeit von Haimo Hieronymus, die man als vital bis aggressiv empfinden kann, korrespondiert mit dem Stachel der Analyse in Weigonis Texten wie umgekehrt die relativierende Denkhaltung derselben mit den ambivalenten Bedeutungen der Farben Schwarz, Rot und Weiß, die…

Garten

Das Vorbild aller Gärten ist der Zaubergarten, das Vorbild aller Zaubergärten ist das Paradies. Die Gärtnerei, wie jeder der einfachen Berufe, hat kultischen Hintergrund. Ernst Jünger   Ganz zufrieden nach Hause gefahren war er abends. Mit Blick über die vom…

Das biografische Gesicht unter Verschluss

Rue Vieille du Temple, Paris. Kleine Läden, schmutzige Schaufensterscheiben. Dahinter verhöhnen seltsame Präsentationen den Abstand des Flaneurs zu den Gelassen stiller Rituale. Sie ziehen dich in Intimität, in vertrauliche Zusammenhänge hinein, die man riechen kann. Alles Hingestellte, Ausgestellte, wirkt vorläufig,…

Von einem kleinen Wiener Buch

  Anatol ist ein Einakter-Zyklus von Arthur Schnitzler. Als Buchausgabe erschien er im Herbst 1892, vordatiert auf das Jahr 1893. Das einleitende Gedicht stammt von Loris, einem Pseudonym des jungen Hugo von Hofmannsthal, der mit Schnitzler befreundet war. Die Stücke…

Notenbegründung

  Jeweils einen Pott Kaffe in der Hand, den brauchen sie jetzt ganz dringend, denn rauchen darf man in öffentlichen Gebäuden nicht mehr, stehen drei Lehrer in ihrem angestammten Reservat innerhalb des Lebensraums Schule. Für sie geschaffen, nach ihnen benannt…

Mein Traumberuf

  Nein, Astronaut wollte ich nie werden. Was aber sicher nicht so sehr an meiner ausgeprägten Höhenangst liegt. Die hätte sich ja vielleicht ab 380.000 Kilometer über der Erde etwas gelegt. Doch darüber will ich jetzt nicht groß spekulieren, der…

Der Fallensteller

  Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen, und für Singvögel. Wieviele heute Fallen stellen, bleibt dunkel. Der Hof war von der Außenwelt abgeschlossen, nein, wie abgeschlossen. Er war ja durch wenige Fenster einsehbar,…

Zeitzeugin und Mahnerin

  Als das Buch „Wir leben im Verborgenen – Erinnerung einer Rom-Zigeunerin“, 1988 von Karin Berger herausgegeben, im Picus Verlag erschien, 1989 gleich in einer zweiten Auflage, war Ceija Stojka die erste Romni, die ihre Erinnerungen an die Leidensgeschichte ihrer…

Zum unbehausten Menschen · Revisited

  Als Nietzsche vor über einhundert Jahren den Tod Gottes proklamierte, erschuf er die Sinnleere des Lebens wie auch die Eröffnung ganz anderer Freiheitsräume, als wir bis dato kannten. Seitdem durchirrt die Menschheit diese Räume und verliert sich. Im Zeitalter…

Geistererscheinung

  Im Anfange des Herbstes 1809 verbreitete sich in der Gegend von Schlan (einem Städtchen vier Meilen von Prag auf der Straße nach Sachsen) das Gerücht einer Geistererscheinung, die ein Bauernknabe aus Stredokluk (einem Dorfe auf dem halben Wege von…

Namenlosigkeit

  Nein, er will nicht beleidigen, aber kürzlich hat Herr Nipp sich ernsthafte Gedanken über Namen gemacht, nämlich als er erkannte, dass sein eigener Hermann Nipp letztlich ein Imperativ ist. Und wie es bei solchen Gedanken so geht, kommt er…

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Rauchfahnen und Nebel spielen schmutziges Haar tarnen sich in deinem Gesicht eine Kette aus Blicken wirfst mir zu die ich strammzieh wann seh ich dich wieder und ob es geht ohne aus dem Fenster zu fallen *** Weiterführend → Ein…

Die Bäume unter sich

  Ich vertraue meinen dichterischen Einfällen und frage nicht, warum ich immer wieder über die Pflanzen auf unserer Welt dichten muß. Heute früh belauschte ich ein Gespräch, das die Bäume lebhaft miteinander vor meinem Fenster führten. Seitdem nehme ich an,…

On The Dreamline Sangerhausen-Saqqara

se non è vero, è ben trovato   1 Einzig dafür also die Tunnelsysteme um die kupfernen Herzen des Mansfelds: Traumwege für verirrte Pharaonen, Buckelpisten für den Geist in der Stele Und die unendliche Ruhe im Sterngewölbe im Schlafsaal des…

Die Mutter aller Serien

Thru the darkness of Future Past the magician longs to see one chants out between two worlds. Fire – walk with me. Kult leitet sich von, von colere „anbauen, pflegen“ ab und umfasst ursprünglich religiöse Handlungen. Das abgeleitete Adjektiv kultisch…

Die Ordnung der Apokalypse

Joachim Zelters „Briefe aus Amerika“ I Die Schreibstrategie ist subtil in ihrer didaktischen Absicht und künstlerischen Steigerung.  Zelter beginnt leicht, in heiterem Ton, spielerisch, über ziemliche Strecken satirisch gefärbt, der Leser wird sozusagen erst einmal auf einem Niveau abgeholt, wo…

Unbehaust, ein poetisches Polymorphem

Der Vorhang öffnet sich sehr schnell. Ertappt. Auf der Bühne steht die Patientin Jo Chang mit schreckstarren Augen. Sie befindet sich allein, in auswegloser Lage. Lässt einen Stapel Blätter fallen. Schlittert über das bereits am Boden liegende Papier. Versucht Halt…

Zur Kritik der deutschen Intelligenz

1 Will man den Weg verstehen, auf dem die heute unter dem Schlagwort Pangermanismus vereinigten Tendenzen zu jener furchtbaren Macht gelangten, die alle Welt kennt und verspürt, so muß man zurückgehen bis ins tiefe Mittelalter. In dem mittelalterlichen Kampf um…

Pop-Schamanismus

  Beuys als popschamanen zu beschreiben ist vielleicht abgeschmackt, doch wenn einer weniger als ein künstler sein wollte und mehr als ein mensch war, kann man das alte zeichen wohl benutzen, bis verständigere zeiten ein neues, weitläufiger und genauer, bereit…

Verteidigung gegen persönliche Angriffe

  Die politische Seite der Streitfrage, um die sich die Verhandlungen gestern und heute drehen, ist bereits so klargelegt, daß ich gern auf das Wort verzichtet hätte. Aber ich bin gezwungen, mich gegen die persönlichen scharfen Angriffe zweier Parteivorstandsmitglieder, der…

Die menschheit ist heute gesünder denn je

  Die menschheit ist heute gesünder denn je, krank sind nur einige wenige. Diese wenigen aber tyrannisieren den arbeiter, der so gesund ist, daß er kein ornament erfinden kann. Sie zwingen ihn, die von ihnen erfundenen ornamente in den verschiedensten…

Kerl an der Spitze oder Ich und das

  Ich bin das tote Gesicht das nicht einschlafen kann, weils in mir spricht! Ich wiege, nur vor Gericht, abgezogen das Strafen von allem Verzicht, als Mann und als Bote. Mich trafen die Kriege, Siege an brauchbaren Stellen, ich wiege,…

Kabarett zum Hakenkreuz

„Na, lach doch mal! Na, lach doch mal! Muh! Miau! Baubau –!“ Fotograf aus den neunziger Jahren. Der beliebteste Einwand gegen den Mann auf der andern Seite ist: er sei nicht auf der Höhe seiner Zeit. Der Einwand ist nicht…

Islam in Deutschland

Über den Einfluß des Islams auf Deutschland ist bereits viel geschrieben worden. Hervorzuheben sind zwei Bücher von Sigrid Hunke, „Allahs Sonne über dem Abendland“ und „Kamele auf dem Kaisermantel“, die ausführlich darüber berichten, welche Prägungen islamisches Denken und Errungenschaften arabischer…

Blick aus dem Hörschatten

  „Wo bin ich, wenn ich höre?“ Spur, Schwelle, Stufe, Grat: Ihr meine Klanggesichter! Zwischen Bewegung und Innehalten zwischen Tat und Kontemplation, Harmonie und Dissonanz. Schwimmen im Strom Laut gedehnter Augenblicke, hell schauender Hörblicke, dämmrig getönter Melodien, die ins Ferne…

Unangestrengte Lässigkeit

Steve Winwood ist einer der besten Soulsänger, die je aus England kamen Traffic bestand aus hochkarätigen Musikern, die problemlos zwischen den unterschiedlichen Musikstilen wechseln konnten und dabei völlig unangestrengt wirken. War das erste Album Mr. Fantasy in 1967 wegen der…