Unter dem Dach

  Gemurmel hatte ihn schon früh geweckt, unerwartetes Gemurmel. Aber niemand war zu sehen, keiner in irgendeiner Weise auszumachen. Von irgendwoher dieses Murmeln und manchmal schien es ihm, als höre er Gelächter oder zumindest gurgelndes Gekicher. Herr Nipp hatte auf…

Warum noch Gedichte?

“Es war, als träte ich ins Manuskript ein…” (Dürrenmatt, Justiz) Was wissen wir schon von einem Gedicht?! Wir wissen nicht einmal, welches Wetter bei seiner Entstehung dominierte. Nur ein wenig Sensibilität des jeweiligen Autors scheint registrierbar. Aber was besagt dies…

Europa. Ein Fragment

Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte; Ein großes gemeinschaftliches Interesse verband die entlegensten Provinzen dieses weiten geistlichen Reichs. – Ohne große weltliche Besitzthümer lenkte und vereinigte Ein…

Lauschepper

Zum Tag der Arbeit plädiert Herr Nipp für eine gerechte Honorierung der geistigen Arbeit. Es kann nicht gerade als sonderlich erquicklich bezeichnet werden, wenn man als Künstler oder sonstiger Kulturschaffender zu einem halbherzig vorbereiteten Vortrag über bestimmte Vermarktungsmöglichkeiten im jeweiligen…

Wild Horses Could Not Drag Me Away

Der Literaturbetrieb gleicht einem Adler, der mit gebrochenen Füßen in die Lüfte steigt, die ihm jedwede Landung verwehren. Heutzutage scheint Literatur der Inbegriff des Fragmentarismus, der unsere Zeit ansteckt, dadurch charakterisiert und die typisch fin-de-siècle-belastete Verwirrung und Fassungslosigkeit der Methoden…

An Arno Holz

Ferdinand Avenarius schreibt in seinem Blatt: Ich bitte diejenigen unsrer Leser, die Arno Holz nützen, und die Arno Holz für uns nutzbar halten wollen, an den Kunstwart-Verlag (München, Georg D. W. Callwey, Finkenstr. 2) eine freundlich bemessene Spende mit der…

Apokalypse (Offener Brief an das Publikum)

»Den Überwinder will ich genießen lassen von dem Lebensholze, das in meines Gottes Paradiese steht.«   Am 1. April 1909 wird aller menschlichen Voraussicht nach die ›Fackel‹ ihr Erscheinen einstellen. Den Weltuntergang aber datiere ich von der Eröffnung der Luftschiffahrt.…

Der Fächerbaum

    In meinem Herzen steht ein Fächerbaum, – In deinem auch, aus Zufall kaum; So sind wir immerfort, in allen Stunden Durch’s Fächerherzbaumnetz verbunden.         Weiterführend → Lesen Sie auch das KUNO-Porträt des Lyrikers André Schinkel. Poesie ist…

post . WERT : [zeichen I ]

Adolf Tuma   post . WERT :  [zeichen] „Miniaturmalerei“  –  Tusche & Acryl auf Papier, 4,2 x 3,4 cm, 2009 „…Es gibt Bilder für jede Börse; von Briefmarken zu 1 DM (ca 0,50 Euro, Anm.), die wahre Meisterwerke der Stechkunst sind…

Die Sprache trägt das Leben

  Die Sprache transportiert dich durch alle deine Zeiten, die noch kommen. Ihr Material sind Laute und Zeichen, zusammengefunden in einem vereinbarten Schein der Bedeutungen. Rätselnd schiebt dich die Sprache durchs Leben, und sie schickt dich vor, für sie alle…

Der Randgänger der Poesie

Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Licht beschaut sein; … dies hat einmal gefallen, doch…

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  die Sprache zerfällt in ihre Einzelteile nichts lässt sich mehr greifen fliegende Rochen in den Träumen lieben uns zu dir hin       *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Geschichten aus Tausendundeinem Reich

  Schahrasad stand ein jämmerliches Ende bevor. Ihr Herr, König Schahriyar, sah sich von allen Frauen schändlich hintergangen, belogen und betrogen. Hinter dem Rücken ihrer Gebieter spannen sie ihre lustvollen Fäden und teilten heimlich das Bett mit ihren Geliebten, um…

Für Rajzel Zychlinski

  Doch  Madame die mäntel sind ihren menschen entrissen ihre ärmel stehn leer In den schlafenden klappen der wohlfahrtscontainer nisten spinnen suchen in gefalteten steppen nach beute   *** Zeitgefährten von HEL, wiederveröffentlicht auf KUNO 2017 Die Zeitgefährten sind zwischen 1977…

Untergrund-West

  Nach spektakulärem Hype und raschem Verglühen der 1990er-Jahre-Popliteratur in Deutschland hat sich die Kulturwissenschaft dieses Phänomens überraschend schnell bemächtigt. Seriöse und auch weniger seriöse Betrachtungen haben versucht, Popliteratur als Genre zu verstehen, bzw. diesen Begriff überhaupt erst einmal zu…

Lucidor

  Frau von Murska bewohnte zu Ende der siebziger Jahre in einem Hotel der inneren Stadt ein kleines Appartement. Sie führte einen nicht sehr bekannten, aber auch nicht ganz obskuren Adelsnamen; aus ihren Angaben war zu entnehmen, daß ein Familiengut…

Ein Sonnenstrahl im Morgengrau

Ein Sonnenstrahl im Morgengrau. Die Wege des Gehirns kreuzen sich. Die Kraft des Denkens überspannt. Regiert uns Konstruktivismus? Die Kreuzwege des Intellektualismus Verkörpern Kunst und Mensch. Zum Mond wollen wir fliegen. Ein Sonnenstrahl im Morgengrau. *** KUNO empfiehlt die Dichtungsring-Sondernummer…

Mail Art oder die Kunst der Korrespondenz

„Days without mail art dull days“ heißt mein melancholisch-ironisches, von Ruud Janssen inspiriertes Mail-Art-Motto. Wie die anderen heißen? Ray Johnson, der 1962 mit der Gründung der New York Correspondance School die Bewegung der internationalen Mail Art ins Leben rief, ist…

Rudolf Blümner

  Den Mephisto spielt er jeden Abend, eine Privatvorstellung im Freundeskreis. Ohne witzelnde Fußspitzenpose – der Doktor hat Humor, der im Kranichschritt mit dem Schwermutflügel einherschreitet. Wenn er nicht kommt, sind wir alle belämmert; die gretchenblondesten Mädchenköpfe freuen sich, wenn…

Kunstform Schauerroman

Nach Adornos Urteil bestand zwischen Walter Benjamin und Karl Kraus eine Wahlverwandtschaft, nämlich die, „profane Texte so zu betrachten, als wären es heilige“. War Benjamin ein Vordenker des Trash? Mit der Schrift Gartes hat eine Gattung, die nach der positivistischen…

Jemandate

Jemand, der etwas Außerordentliches lebt. Dessen Sprechen ausgespart bleibt. Die Dinge, die er streift, berührt, bewegt, erzählen, was mit ihm geschieht. Eine Abfolge von deutlich dekodiertbaren Geräuschen, das wollen wir nicht. Jemand spricht. Nicht der Protagonist. Er spricht von den…

Meine Musik

  Ich lebte nach dem Zweiten Weltkrieg mit meinen Großeltern und meiner Mutter (mein Vater kehrte erst 1954 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück) in zwei großen, miteinander verbundenen Wohnungen in Halle an der Saale. Ich hörte bei meiner Mutter den Larifari-Rundfunk,…

Schätze heben

Redaktionelle Vorbemerkung: Bericht über ein Kunst-am-Bau-Projekt in einem Körperbehindertenzentrum. Die Darstellung hat in zweifacher Hinsicht etwas mit Raum zu tun. Einmal im wörtlich konkreten Sinne: Ausgestalten, Schmücken, Gebrauchsfähigmachen von architektonischen Räumen. Zum anderen geht es um Raumschaffen im erweiterten Wortsinn,…

Betrachtungsfeld

  Was der Mensch täglich mit seinen Füßen tritt, besser betritt, und nutzt, fällt gerade wegen dieses tagtäglichen Nutzens nicht weiter auf. Wer achtet schon auf die Bürgersteige und asphaltierten Straßen, die Häusermauern und Baumrinden? Wer bemerkt, dass so viele…

Wiener Episode

  Wien ist eine herrliche Stadt; Wien ist eine Stadt, in der ich es nicht lange aushielte. Vielleicht hat sich in den zweiundzwanzig Jahren, seit ich Wien sah, genoß, erlebte, an Wien mitwirkte, mancherlei geändert; im Jahre 1906 hatte ich…

GELBGEFLÜGELT

nähr ich mich im flug an blüten beflecke ich das haarkleid meiner lust  glüht der rumpf bebt die haut zittern die fühler  grab ich am abgrund unter disteln bau ich  im grellen licht ein nest für die brut  trag ich…

Gedenktafeleinweihung

  Die Gedenktafeleinweihung am 24. März 2003 auf dem Hof Hohenbuchen an der Poppenbütteler Hauptstraße 46 in Hamburg fand unter Anwesenheit des polnischen Generalkonsuls Andrzej Kremer, Frau Lüdemann und ihren Familienangehörigen wie auch der Angehörigen des am 13. März 1942…

Politische Gedanken

  Wir leben in einer extrem oberflächlich gewordenen Gesellschaft, in der viele nur darauf bedacht sind, die richtigen Moden für sich zu finden: Im Konsumieren von ‚Musik’, in der Kleidung, in der Darstellung der eigenen Rolle ohne nennenswerte Persönlichkeit, in…

Lyrik DuMont

  Neben mir liegt ein Stapel Bücher – gelesen und gesammelt seit 1998 – mit außergewöhnlicher Ausstrahlung. Es sind Bücher, die bereits durch ihre ausgesuchte Aufmachung – mit weißem, blauem, rotem, gelbem und grünem Leineneinband, Lesebändchen, im Schuber – erstklassige…

Fingerspitzengefühl

  Wenn die Kälte draußen so weit unter Null gefallen ist, dass in schlecht isolierten Dachgeschosswohnungen sogar die Wasserleitungen zufrieren, dann kann von Winter gesprochen werden. Vorher nicht. Dies hatte Herr Nipp für sich und die gesamte Menschheit beschlossen und…

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Frühjahr du Würger wütest unter uns dass wir glücklich sein sollen alle fortgehn im Schönen wenn so hell der Tag weiter Weg im Abendregen hängen *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Bangen, vereitelt

  So hat es angefangen: Die filigrane Gewalt gescheitelt, verschämt, bevor sie verrohte.   Später cyclames Verlangen Ich hab mich beeilt, als man mir drohte.   Nichts ist mit mir (durchgegangen). Ich hab mich geteilt (in Halt! und Bald. und…

4. Welttag der Poesie

  Am 21. März wird jedes Jahr der Welttag der Poesie gefeiert. Er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern“. Die KUNO-Redaktion empfiehlt an diesem Tag daher Preziosen aus dem Bereich Hörbuch. Das…

Der Sommer

  Wenn dann vorbei des Frühlings Blüte schwindet, So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet. Und wie der Bach das Tal hinuntergleitet, So ist der Berge Pracht darum verbreitet. Daß sich das Feld mit Pracht am…