Die romantische Schule

  Ueber das Verhältniß des Herrn Schelling zur romantischen Schule habe ich nur wenig Andeutungen geben können. Sein Einfluß war meistens persönlicher Art. Dann ist auch, seit durch ihn die Naturphilosophie in Schwung gekommen, die Natur viel sinniger von den…

Kulturgutvernichtung

  Man kann sich durchaus berechtigt darüber aufregen, dass in verschiedenen Staaten der Welt, aus welchen Gründen auch immer, aktive Kulturgutvernichtung begangen wird. Unbewachte Museen in Kriegsländern, die geplündert werden, um persönlichen Profit zu schlagen. Raubgräberei, illegaler Antiquitätenverkauf, das Sprengen…

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  Sich mit der Erde versöhnen: Gras fragt nicht wie es wachsen soll oder       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage…

Lyrische Novelle 4

  Es ist schade um die Menschen, sagt Strindberg. Vor einigen Monaten sass ich mit einem Dichter zusammen in einem Berliner Kaffeehaus, wir redeten begeistert und begeisterten uns immer mehr an unserem gegenseitigen Einverständnis. Er war viele Jahre älter als…

Eine Erinnerung an Robert Menasse

  Den Robert Menasse braucht man in der österreichischen Literaturszene und bei Standard-Lesern nicht vorzustellen. Man verbindet mit ihm den Begriff des kritischen Fragenstellers, Denkers und Feuilletonisten, der sich auch in aktuelle politische Geschehnisse einmischt, indem er dazu Stellung nimmt.…

Lächeln als Kapitulation begreifen

  Als ich noch in Berlin lebte, wurde ich oft gefragt, ob ich dort glücklich sei. Meine ehrliche Antwort lautete: „Nein.“ Berlin ist hässlich, laut, marode, stinkend. Berlin ist ein Schweinestall mit Bordellbeleuchtung. Es gibt keinen Grund, Berlin mit „Glück“…

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  Moral ist die Schminke einer zivilisierten Gesellschaft. Nicht Krieg, sondern die schöpferische Zähmung der Natur bildet die Basis für die Entwicklung. Auf dem Kanal von Canopus verkehrten Wassertaxen, sie steuerten Herbergen, Traumdeuter–Häuser und Wirtshäuser an. Dieser Ort war Zentrum…

jenseits des falschen lebens

  bernd marcel gonner, der lyrik, prosa, dramatische texte und kinderliteratur schreibt und heute in berlin lebt, wurde 1966 als sohn eines luxemburgischen vaters und einer böhmischen mutter geboren. solche verschiedenen herkünfte regen kreativität an, weil sie mit unterschiedlichen identitäten…

Jugendkulturwoche 1963

  Dünn, zerbrechlich, zart; mit langsamen, eleganten Bewegungen, einem Lächeln im Gesicht, freundlich und höflich, kollegial. Dabei voller Wortwitz, Ironie, aber nie mit einem Sarkasmus, der verletzen hätte können. Alles so hinterfragen, skizzieren, sichtbar machen, darstellen. Gedichte wie aus hellgrauer,…

Der Sammler

  Nostalgischer Mythomane. Dr. h.c. Paul Pozozza begeht mit der Galeristin Grazia Terribile eine Maschinenhalle, erbaut aus Backstein, Glas und einem graziösen Stahlskelett. Die Museumsarchitektur als begehbare Skulptur ist selbst ein Kunstwerk und hat sich von ihrem Inhalt emanzipiert. Dem…

Selbstentierter

  Es fordert die pflichtgemäße Annullierung der vorausgegangenen Aktivitäten. Es ist mit der Aufschrift Selbstentioerter versehen. Sie hatte es seit Jahren vermieden, sich länger als eine Minute im Spiegel zu betrachten, über die Einzelheiten des Gesichts hinaus etwas Zusammenhängendes oder…

Fünfter Schritt

  Fünfter Schritt. Schon wieder ein Traum. Stella erzählte ihn mir, wieder am Brunnen. Sie träumte mich. Ich war im Traum mit ihr verschmolzen, sie träumte von mir, jetzt weiß ich es, sie träumte, was ich geträumt hätte, wenn ich…

Lyrische Novelle 3

  Früher hatte ich immer das Bedürfnis, mich allen Menschen zu erklären, um mit allen im Einverständnis leben zu können. Und ich hasste doch alle Geschwätzigkeit. Ich weiss aber nicht, ob ich sie hasste, weil ich ihr immer wieder verfiel,…

Abigail der Erste

Kete Parsenow der Venus Er wurde Melech, als er noch im Mutterleibe war. Die Melechmutter klagte, denn Abigail weigerte sich zur Welt zu kommen. Der lag in seiner Mutter Prachtleib wohl geborgen und schnarchte so laut, daß man seinen Schlummer…

Die nachzügler

  Die nachzügler verlangsamen die kulturelle entwicklung der völker und der menschheit, denn das ornament wird nicht nur von verbrechern erzeugt, es begeht ein verbrechen, dadurch, daß es den menschen schwer an der gesundheit, am nationalvermögen und also in seiner…

Auf ewig Dein!

  Das Digitalradio spuckt über Speaker Kurzweil aus. Dauerbrenner des tropisch aufgeheizten Sommers: eine Hypercalypseleitmelodei, verspricht in naher Zukunft eine ferne Sehnsucht zu realisieren. Eine Vorgeschichte zu erzählen ist bisweilen wie eine Nachgeschichte vorwegnehmen. Es formieren sich die Erinnerungen zu…

Tempus fugit

  Das Licht strömt aus unserer Mitte und vibriert, es fließt oder schlägt Wellen von einem zum andern. Der Himmel verliert sein letztes Blau. Jetzt ist er ganz schwarz, so schwarz, als wäre er gar nicht da, wie das Nichts…

Der Schimmelreiter

  Die Novelle, in deren Zentrum der fiktive Deichgraf Hauke Haien steht, basiert auf einer Sage, mit der Storm sich über Jahrzehnte befasste. Die Hattstedtermarsch und der Hattstedter Neue Koog bilden den landschaftlichen Hintergrund für die Novelle. Die Große Wehle…

Lyrische Novelle 2

  Am schmerzlichsten ist es mir, dass ich weggefahren bin, ohne von meinem Freund Magnus Abschied genommen zu haben. Er ist krank, jetzt liegt er schon seit drei Wochen, und ich habe ihn sehr vernachlässigt. Ich sah ihn vor einigen…

Ein Jahrhundertmensch

Boris Pahor stellte wie Primo Levi oder Imre Kertész die Frage, ob das erlebte Grauen mit Worten nachvollziehbar gemacht werden kann. Karl-Markus Gauß   Und wieder einmal ist ein „Jahrhundertmensch“ von uns gegangen: Mit 108 Jahren verstarb am 30. Mai…

Vertrauen

  Die Situation, einem Menschen zu vertrauen, dachte Herr Nipp, wird immer seltener. Und bestimmte von diesen Leuten möchte man am liebsten nie wieder sehen. Dabei war ihm ganz klar, dass er noch den Schlüssel brauchte, glücklicherweise würde die Überwachungskamera…

Der Schlag ans Hoftor

  Es war im Sommer, ein heißer Tag. Ich kam auf dem Nachhauseweg mit meiner Schwester an einem Hoftor vorüber. Ich weiß nicht, schlug sie aus Mutwillen ans Tor oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und…

Langsame Bewegung

  Langsame Bewegung. Ich laufe allein durch den Jardin du Luxembourg. Unter einem schwarzblauen Himmel keine Sonne, aber hell leuchten die Wege von weißgelber Erde. Der Garten ist ein übersichtliches Labyrinth, überall wachsen die gleichen Pflanzen aus der Erde. Aus…

Die Kontur

Rückschau Leerstellen Die Erinnerungen so dicht, dass jede Geschichte einen Film ergäbe, wo immer sie begänne zu erzählen, viele kleine, geschlossene Geschichten vom eigenen Schicksal und von Schicksalen, eine reiche Verschwörung des Gelebten gegen die Askese des Gewollten, und würde…

Das Schiff

  Es war ein kleiner Kahn, ein Korallenschiffer, der über Kap York in der Harafuhra-See kreuzte. Manchmal bekamen sie im blauen Norden die Berge von Neu-Guinea ins Gesicht, manchmal im Süden die öden australischen Küsten wie einen schmutzigen Silbergürtel, der…

Mein Jahrtausend

Vor 20 Jahren starb Heiner Link. KUNO erinnert an den viel zu früh verstorbenen Schriftsteller: Ja, Damen und Herren, so ein Jahrtausend, das ist schon ganz schön viel. Mehr zumindest als ein Jahrhundert und auf jeden Fall mehr als ein…

Wenn einer träumt

  Wenn einer träumt, fällt er aus dem Zeitlupentempo seines wachen Lebens. In den rasenden Bildern der Nacht überholt er sich, man kann sagen, am Ende eines Traums stehe ich am Ziel und warte auf mich selbst. Aber was ist…

HÖHLE UND PALAST

  ich gehe an einem glasiggrünen see entlang, der teilweise bereits ausgetrocknet ist. im ufernahen sand liegen muschelschalen. ich durchquere einen wald, in dem zerbrochene sowie vom gestrüpp umwucherte und mit moos überwachsene, in ihrer spiralform aber noch gut erkennbare…

Lyrische Novelle 1

  Diese Stadt ist so klein, man kennt nach einem einzigen Spaziergang jeden Winkel. Auch einen alten, sehr hübschen Hof hinter der Kirche habe ich schon entdeckt und den besten Friseur des Ortes, der in einer gepflasterten Nebenstrasse wohnt. Als…

Die Judenbuche

So liefen wir bis Heerse; da war es noch dunkel, und wir versteckten uns hinter das große Kreuz am Kirchhofe, bis es etwas heller würde, weil wir uns vor den Steinbrüchen am Zellerfelde fürchteten, und wie wir eine Weile gesessen…

Autorität

  Eine Form der Autoritätsausübung ist die Einschüchterung durch Blicke, Katzen sind darin besonders gut.        *** Unerhörte Möglichkeiten, von Herrn Nipp. Edition Das Labor 2012 Dieser short-short ist Teil der Reihe, die KUNO anläßlich der 10-jährigen Erscheinens…

Auf einem Waldweg

  Auf einem Waldweg, in den das Licht hart einschlägt wie ein Blitz, der erstarrt, stehen nebeneinander zwei Männer. Der eine schaut in die eine, der andere in die andere Richtung des Weges. Sie reden miteinander, sie kennen sich. Ich…

Klarsichtscheibe

  Vor den Absperrungen befindet sich ein überlebensgroßer Automat, der die Fahrkarte zum gewünschten Zielort liefert. Hinter einer Klarsichtscheibe schlüsselt ein nach Zahlgrenzen nummerierter Streckenfahrplan den Stadtplan auf. Mit den Zahlgrenzen sind sich steigernde Preisstufen in Verbindung zu bringen, wobei…

Der Hauptbahnhof von Sofia

  Das Becken, in dem der alte Teil Sofias lag, mit den heißen artesischen Quellen im Zentrum, war umschlossen von zwei Bachläufen, hässlich in Stein und Beton eingemauert, über die Brücken führten mit den beiden Zeichen staatlicher Macht: dem Adler…

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  durchschnittener Moment: Scherben uns überwächst ein Schlaf nur du siehst dieses Licht noch aber anders man muss jetzt sogar Luft mieten       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2022 Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier.…

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  »Hör mal, wie ruhig es hier ist!«, haucht Nataly. Ihr Trommelfell ist besonders anfällig für mediale Erfahrungen, weil sich das Ohr nicht so einfach verschliessen lässt wie das Auge. Das Zusammenwirken von Geist und Seele, Sinn und Expression scheint…

Der Feind

(Eine Tirade) Die Massen sind unterwegs, um Gott zu suchen. Da sie verlernt haben zu glauben, müssen sie erkennen. Die Lüfte sind erfüllt von dunkler Qual und einem Geschrei von Angst. Etwas Dumpfes ist um jeden Lebendigen. Etwas das zuviel…