Schlagwort: Franz Kafka

Ich kann ihre Gedichte nicht leiden

Vor 100 Jahren starb Franz Kafka. Inzwischen ein Klassiker der Moderne war auch er von Vorurteilen nicht frei.      „Ich kann ihre Gedichte nicht leiden, ich fühle bei ihnen nichts als Langweile über ihre Leere und Widerwillen wegen des…

Heiraten, eine Familie gründen

  Heiraten, eine Familie gründen, alle Kinder, welche kommen, hinnehmen, in dieser unseren Welt erhalten und gar noch ein wenig führen, ist meiner Meinung nach das äusserste, das einem Menschen überhaupt gelingen kann.       *** „Wie wäre es,…

Kafkas Axt

„… ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Es kann uns nicht vor dem Ertrinken retten.   Franz Kafka: Von den Gleichnissen   Viele beklagen sich, dass die Worte der Weisen immer wieder nur Gleichnisse…

Die Wahrheit über Sancho Pansa

  Sancho Pansa, der sich übrigens dessen nie gerühmt hat, gelang es im Laufe der Jahre, durch Beistellung einer Menge Ritter- und Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden seinen Teufel, dem er später den Namen Don Quixote gab, derart von…

Der Heizer

Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von New York einfuhr,…

Der Schlag ans Hoftor

  Es war im Sommer, ein heißer Tag. Ich kam auf dem Nachhauseweg mit meiner Schwester an einem Hoftor vorüber. Ich weiß nicht, schlug sie aus Mutwillen ans Tor oder aus Zerstreutheit oder drohte sie nur mit der Faust und…

Mehr als Schullektüre

Gestern abend habe ich Dir nicht geschrieben, weil es über Michael Kohlhaas zu spät geworden ist (kennst Du ihn? Wenn nicht, dann lies ihn nicht! Ich werde Dir ihn vorlesen!), den ich bis auf einen kleinen Teil, den ich schon…

Snow’s Lecture

Cambridge, 1959 Man könnte die Menschen in zwei Klassen einteilen, notierte Heinrich von Kleist, in solche, die sich auf eine Metapher und in solche, die sich auf eine Formel verstehen. Das war zwar schon damals keine neue Erkenntnis, doch hatte…

Schandgeruch

  Schandgeruch, wenn man den Deckel öffnet. Franz Kafka über das Biertrinken     *** Lokalhelden, Roman von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2018 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover. Weiterführend → Lesenswert auch das…

Nachlass

  „Mit der technischen Auswertung des Nachlasses habe ich längst nichts mehr zu tun; davon lebt jetzt eine Reihe von Agenten, Verlagen, Übersetzern, Einrichtern etc. Kafka würde lachen – oder vielleicht auch bloss traurig lächeln. Ich frage mich oft, wie…

Bleib bei Deinem Tisch und horche

  Es ist nicht notwendig, dass Du aus dem Haus gehst. Bleib bei Deinem Tisch und horche. Horche nicht einmal, warte nur. Warte nicht einmal, sei völlig still und allein. Anbieten wird sich Dir die Welt zur Entlarvung, sie kann…

Franz Kafka – Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages

Potemkin Es wird erzählt: Potemkin litt an schweren mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrenden Depressionen, während deren sich niemand ihm nähern durfte und der Zugang zu seinem Zimmer aufs strengste verboten war. Am Hofe wurde dieses Leiden nicht erwähnt, insbesondere wusste…

„Im Kino gewesen. Geweint.“

Es zeigt sich sich […], wie tief die Oper als Konsumgut ‑ auch darin dem Film verwandt ‑ mit Spekulationen aufs Publikum verfilzt ist. Theodor W. Adorno Nicht nur Franz Kafka ließ sich (siehe auch den Titel dieser reflektierenden Medienbetrachtung)…

Amerika

  Als der sechzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafenvon New York einfuhr,…

Aphorismen

  Er läuft den Tatsachen nach wie ein Anfänger im Schlittschuhlaufen, der überdies irgendwo übt, wo es verboten ist.     *** Du bist die Aufgabe, Franz Kafkas Aphorismen, Wallstein 2019 Die Aphorismen und Denkbilder, die Kafka während eines etwa…

Eindruck des Lebendigen

  Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur, ich bin nichts anderes und kann nichts anderes sein.     *** Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer Diskurse, um einen Prozess der Selbstreflexion…

Alternativer Literaturnobelpreis an Maryse Condé

Dass in dem Jahr, in den Philip Roth stirbt, der Literaturnobelpreis nicht vergeben wird, ist angemessen. Peter Glaser Der Literaturnobelpreis wird in diesem Jahr ausgesetzt. Unterdessen verdichten sich in Schweden die Hinweise darauf, daß die Nobelstiftung die Verantwortung für den…

Der plötzliche Spaziergang

  Wenn man sich am Abend endgültig entschlossen zu haben scheint, zu Hause zu bleiben, den Hausrock angezogen hat, nach dem Nachtmahl beim beleuchteten Tische sitzt und jene Arbeit oder jenes Spiel vorgenommen hat, nach dessen Beendigung man gewohnheitsgemäß schlafen…

Die Gehilfen

Kaum waren alle fort, sagte K. zu den Gehilfen: „Geht hinaus!“ Verblüfft durch diesen unerwarteten Befehl folgten sie, aber als K. hinter ihnen die Tür zusperrte, wollten sie wieder zurück, winselten draußen und klopften an die Tür. „Ihr seid entlassen“,…

Kinder auf der Landstraße

Ich hörte die Wagen an dem Gartengitter vorüberfahren, manchmal sah ich sie auch durch die schwach bewegten Lücken im Laub. Wie krachte in dem heißen Sommer das Holz in ihren Speichen und Deichseln! Arbeiter kamen von den Feldern und lachten,…

Verhaftung

Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin, die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal nicht.…

Wunsch, Indianer zu werden

Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf,…

Kurz, Geschichte: eine Kurzgeschichte?

Je mehr Du kürzest, desto häufiger wirst Du gedruckt. Anton Tschechow Wer ein Faible für kurze Liaisonen hat, der ist bei Kurzgeschichten von vornherein gut aufgehoben. Denn kaum bist du als Leser/als Leserin der Erzählfigur begegnet, kaum ist sie in…

Ein Bericht für eine Akademie

Hohe Herren von der Akademie! Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht über mein äffisches Vorleben einzureichen. In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu fünf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit,…

DIAlog

DIAlog der gestandenen Vernuft mit  erahnter Vision? – gebiert dies Ungeheuer? –  „Die Phantasie, verlassen von der Vernunft, erzeugt unmögliche Ungeheuer; vereint mit ihr ist sie die Mutter der Künste und Ursprung der Wunder“ spricht  Franciso de Goja zu seinem dreiundvierzigsten Blatt…

Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse

Unsere Sängerin heißt Josefine. Wer sie nicht gehört hat, kennt nicht die Macht des Gesanges. Es gibt niemanden, den ihr Gesang nicht fortreißt, was um so höher zu bewerten ist, als unser Geschlecht im ganzen Musik nicht liebt. Stiller Frieden…

Überschwemmt, die Lust am Taumel (8)

88 · ∞ Magische Blätter  ∞ Bücher  ∞ Blitze ∞ Ich habe gelesen, gelesen, gelesen, Friederike Mayröcker aktuell, nämlich, im Zusammenhang mit der Niederschrift/Montage dieses Essays, den ich wäh­rend des Schrei­bens, na­turgemäß, in fort­laufender Wechselbeziehung zum von mir im Spätsom­mer…

Lyrische Landvermessung

Die amtlichen Bekanntmachungen für August 2010 auf der Homepage der Stadt Boppard beginnen mit „Änderung des Bebauungsplanes „Casinostraße / Herrenstücke““ und der „Meldung der Wein- und Traubenmostbestände“. Sicherlich wäre es für den Lyriker Manfred Enzensperger ein Leichtes, jene Mitteilungen in…

SäureFraß

Entgegen der digitalisierten on-demand Lese- und Informationswelt ist Säurefraß ein natürlich sichtbarer Zerfallsprozess an Büchern und Printerzeugnissen. Ein Prozess, den man immer wieder aufhalten konnte  und uns den Zugang zu unserer Geschichte öffnet. Heute gibt man seine  oder fremde Leseerzeugnisse…

Franz Kafka, tschechischer Klassiker

Jede Zeit, jede Generation, jede Gruppierung im intellektuellen Kräftefeld hatte und hat ihren eigenen Kafka“, denn „Literaturwissenschaftler stehen in der Kulturindustrie nicht weniger unter Innovations- und Profilierungsdruck als die Fahrzeugkonstrukteure in der Automobilindustrie“. Thomas Anz Sprechen wir hier von einem…

Früher

  Früher begriff ich nicht, warum ich auf meine Frage keine Antwort bekam, heute begreife ich nicht, wie ich glauben konnte, fragen zu können. Aber ich glaubte ja gar nicht, ich fragte nur.     *** Franz Kafka neigte zu…

Faustschlag auf den Schädel

  Ich glaube, man sollte überhaupt nur noch solche Bücher lesen, die einen beissen und stechen. Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch?      …

Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen

  Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, denn es gibt zwar nur eine; aber sie ist lebendig und hat daher ein lebendig wechselndes Gesicht.     *** Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer…

Kleine Fabel

  »Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese…

Max Brod, Franz Kafka. Eine Biographie

  Das Buch ist durch den fundamentalen Widerspruch gekennzeichnet, der zwischen der These des Verfassers einerseits, seiner Haltung andererseits obwaltet. Dabei ist die letztere danach angetan, die erstere einigermaßen zu diskreditieren, zu schweigen von den Bedenken, die sich gegen diese…

Das Gute

    Das Gute ist in gewissem Sinne trostlos.     *** Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer Diskurse, um einen Prozess der Selbstreflexion in Gang zu setzen, der vom bloss Persönlichen und Privaten…

Zeremonie

  Leoparden brechen in den Tempel ein und saufen die Opferkrüge leer; das wiederholt sich immer wieder; schließlich kann man es vorausberechnen, und es wird ein Teil der Zeremonie.       Kafkas Leoparden-Parabel ist ein rätselhafte Gleichnis aus vier…

Das Glück

    Das Glück begreifen, daß der Boden, auf dem du stehst, nicht größer sein kann, als die zwei Füße ihn bedecken.     *** Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer Diskurse, um einen…

Beginnende Erkenntnis

  Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch zu sterben.         *** Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer Diskurse, um einen Prozess der Selbstreflexion in Gang zu setzen, der vom…

Wunder

  Wunder gab ich leichter zu als wirklichen Fortschritt.       Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer Diskurse, um einen Prozess der Selbstreflexion in Gang zu setzen, der vom bloss Persönlichen und Privaten…

Das Unglück des Junggesellen

  Es scheint so arg, Junggeselle zu bleiben, als alter Mann unter schwerer Wahrung der Würde um Aufnahme zu bitten, wenn man einen Abend mit Menschen verbringen will, krank zu sein und aus dem Winkel seines Bettes wochenlang das leere…

Der Geist

    Der Geist wird erst frei, wenn er aufhört, Halt zu sein     *** Franz Kafka neigte zu aphoristischen Gedankensplittern und dem eigenwilligen Aneignen kollektiver, mythischer Diskurse, um einen Prozess der Selbstreflexion in Gang zu setzen, der vom…

Die Vorüberlaufenden

Wenn man in der Nacht durch eine Gasse spazierengeht, und ein Mann, von weitem schon sichtbar – denn die Gasse vor uns steigt an und es ist Vollmond –, uns entgegenläuft, so werden wir ihn nicht anpacken, selbst wenn er…

Vertrauen

  Der Mensch kann nicht leben ohne ein dauerndes Vertrauen zu etwas Unzerstörbarem in sich, wobei sowohl das Unzerstörbare als auch das Vertrauen ihm dauernd verborgen bleiben können. Eine der Ausdrucksmöglichkeiten dieses Verborgenbleibens ist der Glaube an einen persönlichen Gott…

Zerstreutes Hinausschaun

  Was werden wir in diesen Frühlingstagen tun, die jetzt rasch kommen? Heute früh war der Himmel grau, geht man aber jetzt zum Fenster, so ist man überrascht und lehnt die Wange an die Klinke des Fensters.   Unten sieht…

Die Gier nach Büchern

  Zweifellos ist in mir die Gier nach Büchern. Nicht eigentlich sie zu besitzen oder zu lesen, als vielmehr sie zu sehen, mich in der Auslage eines Buchhändlers von ihrem Bestand zu überzeugen.     *** Franz Kafka neigte zu…

Der Ausflug ins Gebirge

  »Ich weiß nicht«, rief ich ohne Klang, »ich weiß ja nicht. Wenn niemand kommt, dann kommt eben niemand. Ich habe niemandem etwas Böses getan, niemand hat mir etwas Böses getan, niemand aber will mir helfen. Lauter niemand. Aber so…

Welttag des Buches

  Im Kino gewesen. Geweint. (Franz Kafka) Im Rockkonzert gewesen. Getanzt. Im Museum gewesen. Gestaunt. Ein Buch aufgeschlagen. Und darin versunken.     PS Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Aber lesen muss man es trotzdem. Sonst schauen wir…

Der Fahrgast

  Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollständig unsicher in Rücksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie. Auch nicht beiläufig könnte ich angeben, welche Ansprüche ich in irgendeiner Richtung mit Recht…

Sechzehnter Januar

  Sechzehnter Januar. Es war in der letzten Woche wie ein Zusammenbruch. Unmöglichkeit zu schlafen, Unmöglichkeit zu wachen Unmöglichkeit das Leben genauer die Aufeinanderfolge des Lebens zu ertragen. Die Uhren stimmen nicht überein. Die Innere jagt in einer teuflischen oder…

Kleider

Oft wenn ich Kleider mit vielfachen Falten, Rüschen und Behängen sehe, die über schönen Körper schön sich legen, dann denke ich, daß sie nicht lange so erhalten bleiben, sondern Falten bekommen, nicht mehr geradezuglätten, Staub bekommen, der, dick in der…

Die Abweisung

Wenn ich einem schönen Mädchen begegne und sie bitte: »Sei so gut, komm mit mir« und sie stumm vorübergeht, so meint sie damit: »Du bist kein Herzog mit fliegendem Namen, kein breiter Amerikaner mit indianischem Wuchs, mit waagrecht ruhenden Augen,…

Ein Hungerkünstler

  In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an Hungerkünstlern sehr zurückgegangen. Während es sich früher gut lohnte, große derartige Vorführungen in eigener Regie zu veranstalten, ist dies heute völlig unmöglich. Es waren andere Zeiten. Damals beschäftigte sich die ganze…

Gleichnis von den Gleichnissen

  Viele beklagen sich, daß die Worte der Weisen immer wieder nur Gleichnisse seien, aber unverwendbar im täglichen Leben, und nur dieses allein haben wir. Wenn der Weise sagt: »Gehe hinüber«, so meint er nicht, daß man auf die andere…

In der Strafkolonie · Recap

  Das ist nicht wahr, wenn die Leute behaupten, Träume seien verschwommen. »Jeder ist, während er träumt, ein Shakespeare«, sagt der Weise, und noch im unsinnigsten Phantasma der Nacht stehen Konturen und Farben unverrückbar fest. Bäume zum Greifen und saftig…

Sebald • Revisited

Eine der in der Salle des pas perdus wartenden Personen war Austerlitz, ein damals, im siebenundsechziger Jahr, beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewelltem Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs…

Die Bäume

Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee. Scheinbar liegen sie glatt auf, und mit kleinem Anstoß sollte man sie wegschieben können. Nein, das kann man nicht, denn sie sind fest mit dem Boden verbunden. Aber sieh, sogar das ist nur…

Erstes Leid

  Ein Trapezkünstler – bekanntlich ist diese hoch in den Kuppeln der großen Varietébühnen ausgeübte Kunst eine der schwierigsten unter allen, Menschen erreichbaren – hatte, zuerst nur aus dem Streben nach Vervollkommnung, später auch aus tyrannisch gewordener Gewohnheit sein Leben…

Das Gassenfenster

Wer verlassen lebt und sich doch hie und da irgendwo anschließen möchte, wer mit Rücksicht auf die Veränderungen der Tageszeit der Witterung, der Berufsverhältnisse und dergleichen ohne weiteres irgendeinen beliebigen Arm sehen will, an dem er sich halten könnte, –…

Entschlüsse

Aus einem elenden Zustand sich zu erheben, muß selbst mit gewollter Energie leicht sein. Ich reiße mich vom Sessel los, umlaufe den Tisch, mache Kopf und Hals beweglich, bringe Feuer in die Augen, spanne die Muskeln um sie herum. Arbeite…

Zum Nachdenken für Herrenreiter

  Nichts, wenn man es überlegt, kann dazu verlocken, in einem Wettrennen der erste sein zu wollen. Der Ruhm, als der beste Reiter eines Landes anerkannt zu werden, freut beim Losgehn des Orchesters zu stark, als daß sich am Morgen…

Entschlüsse

Aus einem elenden Zustand sich zu erheben, muß selbst mit gewollter Energie leicht sein. Ich reiße mich vom Sessel los, umlaufe den Tisch, mache Kopf und Hals beweglich, bringe Feuer in die Augen, spanne die Muskeln um sie herum. Arbeite…

Beim Bau der Chinesischen Mauer

Während das objektive Denken gegen das denkende Subjekt und dessen Existenz gleichgültig ist, ist der subjektive Denker als existierender an seinem Denken wesentlich interessiert: er existiert ja darin. Kierkegaard Die Chinesische Mauer ist an ihrer nördlichsten Stelle beendet worden. Von…

Das Stadtwappen

  Anfangs war beim babylonischen Turmbau alles in leidlicher Ordnung; ja, die Ordnung war vielleicht zu groß, man dachte zu sehr an Wegweiser, Dolmetscher, Arbeiterunterkünfte und Verbindungswege, so als habe man Jahrhunderte freier Arbeitsmöglichkeit vor sich. Die damals herrschende Meinung…

Beschreibung eines Kampfes

    Die Ursache dessen, dass das Urteil der Nachwelt über einen Einzelnen richtiger ist als das der Zeitgenossen, liegt im Toten. Man entfaltet sich in seiner Art erst nach dem Tode, erst wenn man allein ist. Das Totsein ist…

Die Verwandlung

  Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen,…

Der Jäger Gracchus

  Zwei Knaben saßen auf der Quaimauer und spielten Würfel. Ein Mann las eine Zeitung auf den Stufen eines Denkmals im Schatten des säbelschwingenden Helden. Ein Mädchen am Brunnen füllte Wasser in ihre Bütte. Ein Obstverkäufer lag neben seiner Ware…

Die Brücke

Ich war steif und kalt, ich war eine Brücke, über einem Abgrund lag ich. Diesseits waren die Fußspitzen, jenseits die Hände eingebohrt, in bröckelndem Lehm habe ich mich festgebissen. Die Schöße meines Rockes wehten zu meinen Seiten. In der Tiefe…

Der Nachbar

  Mein Geschäft ruht ganz auf meinen Schultern. Zwei Fräulein mit Schreibmaschinen und Geschäftsbüchern im Vorzimmer, mein Zimmer mit Schreibtisch, Kasse, Beratungstisch, Klubsessel und Telephon, das ist mein ganzer Arbeitsapparat. So einfach zu überblicken, so leicht zu führen. Ich bin…

Vor dem Gesetz

  Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt…

In der Strafkolonie

  »Es ist ein eigentümlicher Apparat«, sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Apparat. Der Reisende schien nur aus Höflichkeit der Einladung des Kommandanten gefolgt zu sein, der ihn aufgefordert…